Abstract
Das hyperglykämische Koma (Coma diabeticum) ist eine schwere Komplikation des Diabetes mellitus; je nach Diabetestyp werden zwei Formen unterschieden: Bei Typ-1-Diabetikern mündet die hyperglykämische Entgleisung in eine diabetische Ketoazidose. Auslöser sind eine fehlende Insulinzufuhr (bspw. bei Erstmanifestation) oder Zustände eines gesteigerten Insulinbedarfs (bspw. Operationen, Infektionen). In Abgrenzung hierzu verläuft eine hyperglykämische Entgleisung bei Typ-2-Diabetikern als hyperosmolares Koma. Pathophysiologisch unterscheiden sich beide Formen in der Entstehung von Ketonen bei Typ-1-Diabetikern, die bei Typ-2-Diabetikern aufgrund einer Restsekretion von Insulin ausbleibt. Die Blutzuckerbestimmung ist bei jeder Bewusstlosigkeit sinnvoll und erlaubt die Sicherung einer Hyperglykämie. Bei beiden Formen des diabetischen Komas ist eine bedarfsgerechte Rehydratation und die Balancierung der Elektrolyte vordergründig. Die Senkung des erhöhten Blutzuckers darf in diesem Zusammenhang nur langsam unter engmaschiger klinischer und laborchemischer Überwachung erfolgen.
Ätiologie
- Fehlende oder ungenügende exogene Insulinzufuhr
- Erstmanifestation bei bisher unbekannter Erkrankung
- Fehlerhafte oder unterlassene Insulinanwendung bei bekanntem Diabetes mellitus
- Situativ erhöhter Insulinbedarf
- Fieberhafte Infektionen, insb. Verläufe mit Sepsis (häufigster situativer Auslöser!)
- Schwere akute Erkrankungen
- Myokardinfarkt
- Schlaganfall
- Akute Pankreatitis
- Jeglicher Schock
- Operationen, insbesondere Notfalleingriffe
- Traumata
- Exsikkose
- Medikation mit verändertem Insulinbedarf (insb. Glucocorticoide, Thiaziddiuretika)
- Siehe auch: Medikamentöse Einflüsse auf den Insulinbedarf
- Schwere körperliche Anstrengungen
- Siehe auch: Insulinbedarf bei körperlicher Anstrengung
- Wachstum und Schwangerschaft
- Ketogenes Ernährungsverhalten bei Typ-1-Diabetikern
- Essstörungen (Anorexie, Bulimie)
- Extremes Fasten
- Nahrungsverweigerung bei Depression, Psychosen und dekompensierten Persönlichkeitsstörungen
Ein Diabetes mellitus manifestiert sich häufig zuerst als hyperglykämisches Koma (dies ist bei ca. 25% der hyperglykämischen Komata der Fall) - meist wird dieses ausgelöst durch eine Infektion!
Pathophysiologie
Ketoazidotisches Koma (vorwiegend bei Typ-1-Diabetikern)
Insulinmangel führt zu einer Hyperglykämie sowie einer gesteigerten Lipolyse. Beide Mechanismen gehen mit einem progressiven Volumenverlust einher. Die Lipolyse mit Bildung von Ketonkörpern aus den freigesetzten Fettsäuren führt außerdem zur Ausbildung einer metabolischen Azidose .
- Insulinmangel → Hyperglykämie → Hyperosmolarität → Osmotische Diurese und Elektrolytverlust → Hypovolämie
- Insulinmangel → Lipolyse↑ → Hepatische Ketonkörperbildung → Ketose → Metabolische Azidose (→ Erbrechen → Hypovolämie)
Die Hypovolämie kann infolge einer glomerulären Minderperfusion zum akuten Nierenversagen führen! Ebenso ist die Ausbildung eines Volumenmangelschocks möglich!
Hyperosmolares Koma (vorwiegend bei Typ-2-Diabetikern)
Die Pathogenese ist ähnlich wie beim ketoazidotischen Koma, jedoch reichen die geringen Mengen des noch vorhandenen Insulins aus, um die Lipolyse zu hemmen und somit eine Ketose zu verhindern . Das Erkrankungsbild wird von einer ausgeprägten Dehydratation (und einem Elektrolytverlust) bestimmt.
Dehydratation und Elektrolytmangel
Die Lebensbedrohlichkeit eines diabetischen Komas in der akuten Behandlungsphase ist insb. durch die Wasser- und Elektrolytverluste infolge der Polyurie zu erklären.
- Flüssigkeitsdefizit: ca. 6-8 Liter (und mehr!)
- Elektrolytdefizite
- Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium
- Chlorid, Phosphat
- Bicarbonat (insb. bei Ketoazidose und Gegenregulation der metabolischen Azidose)
Symptome/Klinik
- Gemeinsame Symptome
- Polyurie
- Polydipsie
- Übelkeit, Erbrechen
- Exsikkose, Hypotonie, Kollapsneigung
- Bewusstseinstrübung
- Besondere Symptome des ketoazidotischen Komas
- Zügiger Beginn (<24h) im Vergleich zum hyperosmolaren Koma
- Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis diabetica/Pseudappendizitis diabetica)
- Nach Azeton riechender Atem
- Kußmaul-Atmung : Atmungsmuster, das durch tiefe Atemzüge (Hyperventilation) bei normaler Frequenz charakterisiert ist, wodurch eine respiratorische Kompensation der (metabolischen) Ketoazidose bewirkt wird
Bei einem Patienten mit bekanntem Diabetes mellitus, der sich mit Übelkeit und Erbrechen vorstellt, sollten sofort entsprechende Laboruntersuchungen veranlasst werden! Aufgrund des Restinsulins bei Typ-2-Diabetikern sind im Vergleich zu Typ-1-Diabetikern eine deutlich längere Latenz bis zur Erstmanifestation und daher deutlich höhere Blutzuckerwerte zu erwarten (>600mg/dl bzw. 33,3mmol/l vs. >350mg/dl bzw. 19,4mmol/l)!
Diagnostik
Labordiagnostisches Programm
- Blutglucosebestimmung: Akute Messung aus Kapillarblut, im Verlauf stets durch Bestimmung im venösen Blut ergänzen
- Blutgasanalyse
- Arteriell oder venös
- pH-Wert
- Base excess
- Bicarbonat
- Berechnung der Anionenlücke
- Venöse Blutentnahme
- Elektrolyte: Natrium, Kalium, Magnesium, Chlorid, Phosphat
- Retentionsparameter: Harnstoff, Kreatinin
- Entzündungszeichen: Blutbild, CRP, ggf. Procalcitonin
- Diabetesdiagnostik: HbA1c, ggf. β-Hydroxybutyrat
- Weitere Laborwerte
- Troponin bei Verdacht auf Myokardinfarkt
- Lipase bei Verdacht auf Pankreatitis
- Urinuntersuchung: Insb. Ketone und Glucose im Urinstatus prüfen (Siehe auch: Urin-Stix)
Blutglucose
- Diabetische Ketoazidose (Typ-1-Diabetiker): I.d.R. Werte um 400-700 mg/dl (22,2-38,9 mmol/l), jedoch auch tiefere (und normale) Blutglucosewerte möglich
- Hyperosmolares Koma (Typ-2-Diabetiker): I.d.R. sehr hohe Werte um 600-1200 mg/dl (33,3-66,6 mmol/l)
- Orientierende Faustregel
- <700 mg/dL (<38,9 mmol/l): Ketoazidotisches Koma
- >700 mg/dL (>38,9 mmol/l): Hyperosmolares Koma
Blutgasanalyse
- Statusbestimmung: Prüfung auf das Vorliegen einer metabolischen Azidose und den Stand der Kompensation
- Venöse BGA: Zur Beurteilung des pH und des Bicarbonatstatus ausreichend
Die Ketoazidose ist durch die charakteristische Trias aus Hyperglykämie, Ketonnachweis und metabolischer Azidose mit positiver Anionenlücke charakterisiert!
Schweregrade und Differentialdiagnostik
- Bestimmung des Schweregrades einer diabetischen Ketoazidose (DKA)
- Differenzierung des hyperosmolaren Komas gegenüber den „echten“ diabetischen Ketoazidosen
- Bestimmung der Anionenlücke!
Diagnostische Kriterien und Einteilung des Coma diabeticum | ||||
---|---|---|---|---|
Schweregrad | Leichtgradige DKA | Mittelgradige DKA | Schwere DKA | Hyperosmolares Koma |
Blutglucose | >250 mg/dl (>13,9 mmol/l) | >250 mg/dl (>13,9 mmol/l) | >250 mg/dl (>13,9 mmol/l) | >600 mg/dl (>33,3 mmol/l) |
pH (arteriell) | 7,25-7,3 | 7-7,24 | <7 | >7,3 |
Serumbicarbonat | 15-18 mmol/l | 10-15 mmol/l | <10 mmol/l | >18 mmol/l |
Ketonnachweis | Positiv | Positiv | Positiv | Negativ bzw. minimal |
Anionenlücke | >10 | >12 | >12 | Variabel |
Vigilanz | Wach | Wach bis somnolent | Somnolent bis komatös | Somnolent bis komatös |
in Anlehnung an Kitabchi et al., Hyperglycemic Crises in Adult Patients With Diabetes, DIABETES CARE, VOLUME 32, NUMBER 7, JULY 2009 |
Korrekturbedarf bei Elektrolyten
Jedes Coma diabeticum ist ein Ausnahmezustand, bei dem Verfälschungen aktuell gemessener Werte durch eine Azidose und/oder eine schwere Hyperglykämie in die Interpretation einbezogen werden müssen.
Interpretation des Serumkaliums
- Risiko: Falsch-hohe Bewertung des Serumkaliums
- Erhebliche Kaliumverluste bei Polyurie
- Jedoch Zunahme des Serumkaliums durch Azidose, Hyperglykämie und Hyperosmolalität
- Konsequenz: Entgegengesetzte Kaliumverschiebung mit Beginn der Therapie ist zu beachten!
- → siehe auch: Elektrolytmanagement bei Coma diabeticum
Durch die Kaliumverschiebung vom Intra- in den Extrazellulärraum und den damit einhergehenden normwertig oder gar erhöht erscheinenden Serumkaliumspiegel kann ein Kaliummangel maskiert werden!
Interpretation des Serumnatriums/Korrigiertes Serumnatrium
- Risiko: Falsch-niedrige Bewertung des Serumnatriums
- Konsequenz
- Das Serumnatrium kann nach Therapieeinleitung ansteigen
- Ggf. muss die Zufuhr von Natrium mit der Infusionstherapie verringert werden
- Berechnung des korrigierten Natriumwerts: Pro 100 mg/dl (5,6 mmol/l) Blutglucose oberhalb von 100 mg/dl (5,6 mmol/l) müssen 1,6 mmol/l auf das gemessene Serumnatrium addiert werden, der berechnete Wert entspricht dem korrigierten Natrium
- Siehe auch: Korrekturrechner „Sodium Correction for Hyperglycemia“ (auch für mmol/l) unter Tipps & Links
Interpretation des Serumphosphats
- Risiko: Falsch-hohe Bewertung des Serumphosphats
- Konsequenz
- Symptome der Hypophosphatämie: Muskelschwäche bis hin zur Atemdepression, Verschlechterung der Herzleistung
- Regelmäßige Serumkontrollen
Kontrollen unter laufender Therapie
- Stündlich (Stunden 1-4): Blutglucose, Natrium, Kalium, BGA
- 2-4-stündlich
- Täglich: Calcium, Albumin, Chlorid, CK (Rhabdomyolyse?), Blutbild, ggf. organspezifische Werte nach Initialbefund (z.B. Transaminasen) + Urin auf Ketonkörper
Differentialdiagnosen
Differentialdiagnose: Hyperglykämisches Koma vs hypoglykämischer Schock | ||
---|---|---|
Hyperglykämisches Koma | Hypoglykämischer Schock | |
Entwicklung | Langsam (Tage) | Schnell (Minuten) |
Appetit | Kein Appetit | ↑↑ |
Durst | ↑↑ | ∅ (unverändert) |
Muskeltonus | ↓↓ (keine Krämpfe!) | ↑↑ (Tremor) |
Transpiration | ↓↓ (trockene Haut) | ↑↑ (feuchte Haut) |
Atmung | ↑↑ (Kußmaul-Atmung bei Ketoazidose) | ∅ (unverändert) |
- Siehe auch: Hypoglykämie - Therapie
Differentialdiagnosen der metabolischen Azidose mit Anionenlücke
Als Differentialdiagnosen müssen stets bedacht werden :
- Dekompensierte Niereninsuffizienz bzw. akutes Nierenversagen
- Laktatazidose (Bestimmung des Serumlaktats)
- Medikamentös induzierte Formen
- Salicylate wie ASS
- Isoniazid (Tuberkulostatikum)
- Vergiftungen
- Ethylenglykol oder Methanol
- Formaldehyd und Paraldehyd
- Cyanidintoxikation
Azetonämisches Erbrechen bei Kindern [1][2]
- Definition: Beim azetonämischen Erbrechen handelt es sich um eine akut auftretende Symptomatik, in deren Rahmen es aufgrund eines Kohlenhydratmangels zu ketonkörperinduziertem Erbrechen mit ausgeprägter Exsikkose kommt.
Das azetonämische Erbrechen ist nicht durch das Vorliegen eines Diabetes mellitus bedingt, kann aber auch im Rahmen dessen auftreten!
- Ätiologie: Folge einer verminderten bzw. fehlenden Nahrungsaufnahme bei Klein- und Schulkindern (2.-10. Lebensjahr)
- Auslöser: Bei Kindern ist eine Nahrungsverweigerung bzw. Inappetenz ein häufiges Begleitsymptom akuter Erkrankungen, insb. bei viralen Atemwegsinfekten oder Durchfallerkrankungen
- Pathophysiologie: Mangel an Kohlenhydraten → Vermehrte Lipolyse (Abbau von Triglyceriden) → Stimulation der Ketogenese → Hyperketonämie (und Ketonurie) → Induktion von Erbrechen → Elektrolytverlust und weitere Steigerung der Ketogenese → Zunahme der Hyperketonämie und Azidose → Teufelskreis mit Ausbildung schwerer Ketoazidose und Exsikkose
Beim Fasten ist die Ausscheidung von Ketonkörpern im Harn physiologisch!
- Klinik: Leitsymptom ist sehr häufiges Erbrechen (bis zu 30-50×/Tag)
- Übelkeit, Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein
- Vertiefte Atmung
- Azetonischer Geruch der Ausatemluft (obstartiger bis Nagellackentferner-artiger Geruch)
- Progrediente Verschlechterung des Allgemeinzustandes bis hin zur Vigilanzstörung
- Diagnostik
- Urin-Stix: Ketonurie (ohne erhöhte Glucoseausscheidung!)
- Blutglucosespiegel erniedrigt oder normwertig
- Differentialdiagnosen
- Erbrechen bei diabetischer Ketoazidose oder Coma diabeticum
- Hirntumor
- Meningitis
- Stoffwechselerkrankungen: Fructose-1,6-Disphosphatase-Mangel, Ahornsirupkrankheit, Methylmalonazidurie
- Therapie
- Rekompensation: Substitution von Volumen, Elektrolyten und Glucose
- Intravenöse Rehydratationstherapie bspw. mit 1:1-Mischung aus NaCl 0,9% und Glucose 5%
- Wechsel auf Flüssigkeitsgabe p.o. sobald wie möglich, z.B. mit Traubenzucker in Früchtetee oder Fruchtsaftschorle
- Ggf. Antiemetika bei fortbestehendem Erbrechen trotz Infusion, z.B. Dimenhydrinat oder Diphenhydramin
- Dimenhydrinat
- Darreichungsformen: Sirup , Tabletten , Kautabletten Suppositorien und i.v.-Injektionslösung
- Dosierungsempfehlungen [3]
- Zugelassen für Säuglinge ab 6 Monate oder ab 6 kg Körpergewicht
- Kinder 6-15kg
- Kinder 16-25kg
- Kinder >25kg
- Kinder >60kg Körpergewicht bzw. ≥14 Jahre und Erwachsene
- Zu beachten
- Keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz erforderlich
- Nicht anzuwenden u.a. bei Herzrhythmusstörungen, Pylorusstenose, Epilepsie oder Hirndruck
- Die i.v.-Injektionslösung kann in folgenden Infusionslösungen gegeben werden: Glucose 5/10%, isotonische Kochsalzlösung, Ringerlösung
- Diphenhydramin (z.B. Emesan®)
- Darreichungsformen Tabletten oder Suppositorien
- Dosierungsempfehlungen [3]
- Zugelassen für Säuglinge ab 6 Monate oder ab 6 kg Körpergewicht
- Kinder 8-10kg
- Kinder 10-20kg
- Kinder >20kg
- Kinder >12 Jahre und Erwachsene
- Zu beachten
- Dosisanpassung bei Leber- bzw. Nierenerkrankungen erforderlich
- Nicht anzuwenden u.a. bei Herzrhythmusstörungen oder Epilepsie
- Dimenhydrinat
- Rekompensation: Substitution von Volumen, Elektrolyten und Glucose
- Komplikationen: Lebensgefährliche Exsikkose, Azidose und Elektrolytentgleisung, ketonämisches Koma
Bei Bewusstlosigkeit müssen andere Ursachen als Differentialdiagnosen bedacht werden! Insbesondere Intoxikationen und weitere endokrine Komata müssen ausgeschlossen werden!
- Prognose [2]
- Häufig Rezidive
- Meist Sistieren mit Pubertätsbeginn
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Säulen der Therapie
- Intensivmedizinische Therapie!
- Flüssigkeitssubstitution (unter Kontrolle der Flüssigkeitsbilanz)
-
NaCl-Lösung: 1000 mL NaCl 0,9 % in der 1. Stunde
- Danach in Abhängigkeit von ZVD oder Urinausscheidung unter Beachtung des Serumnatriums im Verlauf
-
NaCl-Lösung: 1000 mL NaCl 0,9 % in der 1. Stunde
- Insulingabe (unter engmaschigen Blutzuckerkontrollen)
- Low-Dose-Schema mit Normalinsulin: Der Blutzucker sollte pro Stunde maximal um ca. 50 mg/dL (2,8 mmol/L) gesenkt werden und vorerst nicht unter 250 mg/dL (13,9 mmol/L) fallen
- Engmaschige Elektrolytkontrolle ggf. -ausgleich
- Bicarbonatgabe (unter Kontrolle des Säure-Basen-Status): In Ausnahmesituationen bei pH-Werten <6,9
Flüssigkeitsbilanz, Blutzucker, Elektrolyte und Säure-Basen-Status müssen in festen Zeitintervallen unter intensivstationären Bedingungen kontrolliert werden!
Bei Insulingabe und Azidoseausgleich ist stets auf die Kaliumwerte zu achten!
Bei diabetischer Ketoazidose soll parallel zur Insulintherapie eine angepasste Kaliumzufuhr erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme 2)
Flüssigkeitssubstitution bei Coma diabeticum [4][5]
- Bedeutung: Die Flüssigkeitssubstitution ist die wichtigste initiale Therapiemaßnahme!
- Effekt
- Besserung der Azidose und Hyperglykämie durch Dilution
- Restitution des Kreislaufes und Verbesserung der Perfusion kritischer Organe (insb. der Niere!)
- Voraussetzungen
- Periphere Venenzugänge: Mind. 2, möglichst großlumig (≤18 G)
- ZVK: Zur Messung des ZVD, ggf. zur zusätzlichen Applikation von Katecholaminen
- Arterielle Blutdruckmessung: Zur direkten Blutdruckkontrolle und Therapiesteuerung
- Bilanzierung: Ein- und Ausfuhr sollten stündlich dokumentiert und bilanziert werden (Blasenkatheter!)
- Auswahl der Infusionslösung: Isotone Kochsalzlösung NaCl 0,9% (ggf. mit bedarfsgerechtem Zusatz von Elektrolyten)
- Alternative Vollelektrolytlösung: Unter Therapie besteht (fast immer) eine Tendenz zu einem Kaliummangel, dem durch Vollelektrolytlösungen (Ringer-Acetat, Ringer-Malat) besser begegnet werden kann
- Steuerung der Volumentherapie
- I.d.R. sind mindestens 250–500 mL/h Infusionsgeschwindigkeit vonnöten
- Steuerung nach MAP (Ziel >65 mmHg) und/oder ZVD (Ziel: 8–12 mmHg), bei maschineller Beatmung und zusätzlich komplex erkrankten Patienten ggf. Etablierung eines erweiterten hämodynamischen Monitorings (z.B. PiCCO®)
- In den ersten 2–3 Stunden häufig hohe Infusionsgeschwindigkeiten erforderlich
- Orientierende Richtgrößen der Infusionsgeschwindigkeit nach ZVD
- Im weiteren Verlauf: I.d.R. sind 100–200 mL/h Infusionsgeschwindigkeit ausreichend
- ZVD-Kontrollen: Initial stündlich, bei Stabilisierungstendenz Lockerung der Überwachung auf 2–4-stündliche Messungen
- Gefahren einer Übertherapie: Überwässerung vermeiden, da ein Hirnödem droht!
- Zeichen einer Volumenüberladung: Ödeme, pulmonale Rasselgeräusche, Stauung der Halsvenen, Gewichtszunahme, Anstieg des ZVD
- Zu schneller Abfall der Blutglucose: >75 mg/dL (4,2 mmol/L) pro Stunde
- Risikogruppen: Chronische Niereninsuffizienz bzw. Herzinsuffizienz
- Zeichen einer Volumenüberladung: Ödeme, pulmonale Rasselgeräusche, Stauung der Halsvenen, Gewichtszunahme, Anstieg des ZVD
Die Volumentherapie ist der erste und essentielle Schritt in der Therapie eines jeden hyperglykämischen Komas!
Blutzuckermanagement bei Coma diabeticum
- Zeitpunkt: Beginn innerhalb einer ½ Stunde
- Ziele der Blutzuckersenkung
- Nicht zu schnell senken (stündlich maximal 50 mg/dl, entspricht etwa 2,8 mmol/l)
- Nicht zu tief absenken - Ziel: 250-300 mg/dl (13,9-16,7 mmol/l) innerhalb von 24 Stunden
- Insulintherapie: I.d.R. intravenöse Applikation über einen Perfusor im Rahmen einer intensivstationären Behandlung
- Bolus zum Therapiestart: 0,1 IE/kg Körpergewicht
- Erhaltungsdosierung im Therapieverlauf: Insulinperfusortherapie nach der Bolusgabe einleiten, niedrig dosiert!
- Insulinresistenz beachten: Ausgeprägte Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes eher zu erwarten als bei Typ-1-Diabetes, entsprechende Auswahl der Erhaltungsdosierung
- Anpassung der Erhaltungsdosierung: BZ-Kontrolle stündlich
- Bei zu geringen Abfall (<40 mg/dl/Stunde, entspricht 2,2 mmol/l): Erhöhung der Laufrate (1,5-fach) alle 2 Stunden
- Bei zu schnellem Abfall (>70 mg/dl/Stunde, entspricht 3,9 mmol/l): Halbierung der Laufrate oder zeitweise Pausieren der Insulingabe
- Beendigung der Perfusortherapie: Bei Erreichen der metabolischen Zielwerte - BZ <300 mg/dl (16,7 mmol/l), Bicarbonat >18 mmol/l, venöser pH-Wert >7,3
- Subkutane Insulintherapie
- Beginn mit Gabe von 0,1 IE/kg Körpergewicht alle 2 Stunden
- Hierbei über weitere 24 Stunden BZ-Senkung maximal bis 150-200 mg/dl (8,3-11,1 mmol/l) bei der Ketoazidose bzw. maximal bis 250-300 mg/dl (13,9-16,7 mmol/l) beim hyperosmolaren Koma
- Blutzucker moderat senken: Bei zu schnellem Abfall Infusion von Glucoselösung und Titration der Blutglucose
- Normnahe Blutzuckereinstellung: Erst im Verlauf, nachdem der hohe Zielspiegel auch unter der subkutanen Insulingabe lange genug aufrecht erhalten wurde, Einleitung einer Insulintherapie nach Basis-Bolus-Konzept mit einem nunmehr geringeren Tagesbedarf von 0,5-0,8 IE Insulin/kg Körpergewicht.
- Siehe auch: Insulintherapie
- Gefahren der Übertherapie: Entwicklung eines Hirnödems (insbesondere Kinder und Jugendliche) und Induktion einer schweren Hypokaliämie!
Die Insulintherapie beim Coma diabeticum dient kurzfristig nicht der Etablierung normaler Blutzuckerwerte!
Lieber sollte eine initial schleppend verlaufende Blutzuckersenkung durch schrittweise Steigerung der Insulinzufuhr korrigiert werden, als in die Gefahr einer zu schnellen Blutzuckersenkung zu laufen!
Elektrolytmanagement bei Coma diabeticum
- Kaliummangel: Auch bei initialer Hyperkaliämie demaskiert sich im Laufe der Therapie nahezu immer ein Kaliummangel
- Zu Therapiebeginn: Keine Kaliumsubstitution, wenn Serumkalium >5,2 mmol/l
- Mit Therapieeinleitung: Engmaschige Kontrolle (2-stündlich!) und bedarfsgerechte Substitution über ZVK
- Kaliumzielbereich: Hochnormal (4-5 mmol/l)
- Phosphatmangel: Ein Phosphatmangel kann parallel zum Kaliummangel entstehen; die Empfehlungen zur Substitution sind jedoch zurückhaltender
- Risikogruppe: Bei ausgeprägter Azidose ist die Gefahr eines Phosphatmangels am größten
- Indikation zur Substitution
- Klinische Symptomatik: Rhabdomyolyse (CK↑), Schwäche der Skelett- und Herzmuskulatur
- Serumphosphat: Bei Werten <0,3 mmol/l Substitution zu erwägen, bei Werten <0,1 mmol/l mit Sicherheit zu empfehlen
- Durchführung
- Substitution von Kaliumphosphat als Zusatz zu Infusionslösungen
- Maximal 10 mmol Phosphat/Stunde
- Risiken: Eine zu schnelle bzw. auch eine überschießende Phosphatsubstitution birgt das Risiko der Hypokalzämie
- Kontraindikation: Keine Phosphatsubstitution bei bestehender Hypokalzämie!
- Weitere Elektrolyte: Substitution nicht regelhaft notwendig, der Status sollte aber regelmäßig kontrolliert werden
Bicarbonatsubstitution bei Coma diabeticum
- Strenge Indikationsstellung: Nur bei pH <6,9!
- Kaliumverschiebung beachten: Bicarbonatgaben und der schnelle Azidoseausgleich bewirken einen Einstrom von Kalium nach intrazellulär; es droht eine akute Hypokaliämie mit entsprechenden Komplikationen
- Durchführung: Immer mit Kalium zusammen, langsame Infusion
- Formel zur Berechnung der benötigten Bicarbonatmenge: NaHCO3 = –BE × KG(kg) × 0,3
- Risiken
- Hypokaliämie(!)
- Hirnödem und zerebrale Azidose (osmotische Verschiebungen)
- Verminderte Sauerstoffaufnahme im Gewebe
Bicarbonatsubstitution (Rechner)
Diabetologische Anbindung
- Prävention weiterer Episoden: Nach erfolgter Therapie eines Coma diabeticum jedem Patienten eine diabetologische Betreuung empfehlen, ggf. anbieten
Komplikationen
Das Coma diabeticum ist selbst die schwerste Komplikation eines Diabetes mellitus. Komplikationen beim Coma diabeticum treten in den allermeisten Fällen infolge einer unzureichenden oder überschießenden Behandlung des Coma diabeticum auf.
- Hypoglykämie: Folge einer übermäßigen und nicht dem Verlauf der Blutzuckerwerte angepassten Insulintherapie oder einer Überwässerung
- Hypokaliämie: Folge einer zu schnellen Korrektur von Azidose und Hyperglykämie
- Hyperchlorämische Azidose: Chloridakkumulation, da eine bestehende Anionenlücke mit Chlorid - als vorherrschendem Anion in Infusionslösungen - aufgefüllt wird
- Hirnödem: Bei Erwachsenen eine Rarität, bei Kindern und Jugendlichen tritt es häufiger auf
- Klinik: Kopfschmerzen, Vigilanzminderung, Krampfanfall, Inkontinenz, Bradykardie und Hypertension
- Lungenödem: Folge einer Überwässerung
- Seltener
Komplikationen des Coma diabeticum können durch die Therapie selbst entstehen - eine sorgfältige Beachtung der Therapieempfehlungen ist die beste Prophylaxe!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 34-2018-1/3: BICAR-ICU: Nutzen und Risiko der Bicarbonattherapie bei metabolischer Azidose
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
Diabetes mellitus (E10-E14)
- E10.-: Diabetes mellitus, Typ 1
- Inklusive: Diabetes mellitus: Juveniler Typ, labil [brittle], mit Ketoseneigung
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E11.-: Diabetes mellitus, Typ 2
- Inklusive
- Diabetes (mellitus) (ohne Adipositas) (mit Adipositas): Alters-, Erwachsenentyp, ohne Ketoseneigung, stabil
- Nicht primär insulinabhängiger Diabetes beim Jugendlichen
- Typ-2-Diabetes unter Insulinbehandlung
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8) oder o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- Inklusive
- E12.: Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition]
- Inklusive: Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition]: Typ 1, Typ 2
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E13.-: Sonstiger näher bezeichneter Diabetes mellitus
- Inklusive: Pankreopriver Diabetes mellitus
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), Typ 1 (E10.‑), Typ 2 (E11.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8) oder o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E14.-: Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus
- Inklusive: Diabetes mellitus o.n.A.
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), Typ 1 (E10.‑), Typ 2 (E11.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
Die folgenden vierten Stellen sind bei den Kategorien E10-E14 zu benutzen
- .0: Mit Koma
- Diabetisches Koma: hyperosmolar, mit oder ohne Ketoazidose, Hyperglykämisches Koma o.n.A.
- Exklusive: Hypoglykämisches Koma (.6)
- .1: Mit Ketoazidose
- Diabetisch: Azidose, Ketoazidose, ohne Angabe eines Komas
- .2†: Mit Nierenkomplikationen
- Diabetische Nephropathie (N08.3*), Intrakapilläre Glomerulonephrose (N08.3*), Kimmelstiel-Wilson-Syndrom (N08.3*)
- .3†: Mit Augenkomplikationen
- .4†: Mit neurologischen Komplikationen
- Diabetisch: Amyotrophie (G73.0*), autonome Neuropathie (G99.0*), autonome Polyneuropathie (G99.0*), Mononeuropathie (G59.0*), Polyneuropathie (G63.2*)
- .5: Mit peripheren vaskulären Komplikationen
- .6: Mit sonstigen näher bezeichneten Komplikationen
- Diabetische Arthropathie† (M14.2*), Hypoglykämie, Hypoglykämisches Koma, Neuropathische diabetische Arthropathie† (M14.6*)
- .7: Mit multiplen Komplikationen
- .8: Mit nicht näher bezeichneten Komplikationen
- .9: Ohne Komplikationen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.