Abstract
Unter dem Begriff des benignen Prostatasyndroms (BPS) werden obstruktive oder irritative Miktionsstörungen des unteren Harntraktes zusammengefasst, die durch eine benigne Prostataobstruktion verursacht werden. Bis vor kurzem wurde vom Krankheitsbild der benignen Prostatahyperplasie gesprochen, durch das jedoch streng genommen nur die rein histopathologische Diagnose beschrieben wurde, die nicht zwingend mit Symptomen einhergehen muss. Dementsprechend hat sich die Terminologie assoziierter Diagnosen und Symptome des BPS erweitert und findet zunehmend mehr Anwendung in Leitlinien und Literatur.
Beinahe jeder Mann ist im höheren Alter in unterschiedlichen Ausprägungen von obstruktiven Miktionsbeschwerden durch eine Prostatavergrößerung betroffen. Weshalb die Prostata im Alter an Volumen zunimmt, ist nicht abschließend geklärt. Symptome wie Pollakisurie, Nykturie, Harnstrahlabschwächung und das Gefühl, die Harnblase nicht vollständig entleeren zu können, führen die Patienten zum Arzt. Die Diagnostik umfasst neben einer Basisdiagnostik (z.B. digital-rektale Untersuchung, PSA-Wert-Bestimmung), eine erweiterte Diagnostik (z.B. Sonographie des unteren Harntraktes, Miktionsurethrogramm) und hat die Aufgabe, eine zielgerichtete Therapie des BPS zu ermöglichen, um die Lebensqualität des Patienten möglichst schnell wiederherzustellen und krankheitsbezogene Komplikationen zu verhindern.
Medikamentös stehen neben Phytotherapeutika Alpha-Blocker zur symptomatischen und 5-alpha-Reduktasehemmer zur progressionshemmenden Therapie zur Verfügung. Bei sich verschlechternder Symptomatik kommen operative (meist transurethrale) oder Laserverfahren zum Einsatz.
Definition
- Benignes Prostatasyndrom: Überbegriff für die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Beschwerden des unteren Harntrakts (LUTS), Prostatavergrößerung (BPE) und Blasenauslassobstruktion (BOO bzw. BPO)
- Terminologie des benignen Prostatasyndroms und assoziierter Symptome/Diagnosen :
- Lower urinary tract symptoms (LUTS) → Miktionsbeschwerden (siehe Symptome/Klinik)
- Benigne Prostatahyperplasie (BPH) → Histologisch zugrundeliegende Gewebeveränderung
- Benign prostatic enlargement (BPE) → Prostatavergrößerung >30 cm3 bzw. mL
- Bladder outlet obstruction (BOO) → Urodynamisch gesicherte Blasenentleerungsstörung
- Benign prostatic obstruction (BPO) → Durch BPE verursachte BOO
Epidemiologie
- Prävalenz
- Ca. 30–40% aller Männer >50 Jahre
- Zunahme der Häufigkeit ab dem 50. Lebensjahr
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Unklare Genese: Die genaue Ätiologie des benignen Prostatasyndroms bzw. der Prostatavergrößerung/Prostatahyperplasie ist unklar, ein Zusammenspiel folgender Faktoren wird diskutiert:
- Androgene: Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron (DHT) → Wachstumsreiz der Prostata im Bereich der Übergangszone↑
- Östrogene: Verschiebung des Testosteron/Östrogen-Spiegels zugunsten des Östrogens in zunehmendem Alter
- Vermehrte Ausschüttung von Wachstumsfaktoren in der Prostata
- Zu starke Vermehrung von Prostata-Stammzellen
- Verlängerte Lebensdauer der Prostatazellen wegen vermindertem Zelltod
- Familiäre Disposition
- Risikofaktoren
- Adipositas
- Steigendes Alter
Pathophysiologie
Wachstum in periurethralen Drüsen (zentrales Wachstumsmuster des Adenoms) unklarer Ätiologie → Einfluss von Androgenen wird diskutiert, ist jedoch nicht abschließend bewiesen
Ein Prostatakarzinom kann auch nach der Resektion einer Prostatahyperplasie auftreten, da der Entstehungsort beider Erkrankungen woanders liegt: BPH → Übergangszone (Transitionalzone), Prostatakarzinom → periphere Zone!
Symptome/Klinik
- Folgende Miktionsbeschwerden (LUTS → Lower urinary tract symptoms) werden im Rahmen des benignen Prostatasyndroms unterschieden:
- Irritative Symptome
- Pollakisurie
- Nykturie
- Restharngefühl
- Obstruktive Symptome
- Verzögerter Miktionsbeginn
- Abgeschwächter Harnstrahl
- Unterbrochener Harnstrahl („Stakkatomiktion“)
- „Nachträufeln“
- Ischuria paradoxa (ständiges Tröpfeln bei Überlaufinkontinenz möglich)
- Komplikationen
- Rezidivierende Infekte
- Harnverhalt
- Harnblasensteine
- Irritative Symptome
Stadien
Die Bedeutung der Stadieneinteilung der benignen Prostatahyperplasie nach Alken hat sich nach Einführung der neuen Nomenklatur des benignen Prostatasyndroms gewandelt. Sie wird jedoch häufig noch im klinischen Alltag und in der Literatur verwendet und daher hier der Vollständigkeit halber aufgeführt.
Veraltet: Stadieneinteilung nach Alken
BPH-Stadium I | „Reizstadium“ |
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BPH-Stadium II | „Restharnstadium“ |
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BPH-Stadium III | „Dekompensationsstadium“ |
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Diagnostik
- Erfassung des International Prostate Symptom Score (IPSS)
- Ausprägungsgrad bzw. Einfluss auf die Lebensqualität des benignen Prostatasyndroms werden anhand häufiger Symptome zu einem Score zusammengefasst
-
Dient als Entscheidungshilfe für eine Therapieindikation, aber auch der Verlaufs- und Erfolgskontrolle einer Behandlung
- 0–7 Punkte: Milde Symptomatik, es sollte eine Verlaufsbeobachtung erfolgen
- 8–19 Punkte: Mittlere/moderate Symptomatik, es sollte zeitnah eine Behandlung in Erwägung gezogen werden
- 20–35 Punkte: Schwere Symptomatik, es besteht dringender Handlungsbedarf
- Digital rektale Untersuchung
- Transrektaler Ultraschall
- Uroflowmetrie
- Objektivierung eines abgeschwächten Harnstrahls anhand des Miktionsverlaufs
- Blutuntersuchung
- PSA-Wertbestimmung zur Evaluation eines malignen Geschehens vor operativer Intervention
- Apparativ
-
Sonographie der Harnblase und der Nieren zur Bestimmung des Restharns und zum Ausschluss einer Nierenstauung
- Balkenblase (oder Trabekelblase): Balkenartige Detrusorhypertrophie ggf. mit Pseudodivertikeln
- Evtl. Miktionsurethrogramm zur Darstellung einer Obstruktion und Visualisierung von Divertikelbildung
- Evtl. Ausscheidungsurogramm mit möglichem Korbhenkelphänomen
-
Sonographie der Harnblase und der Nieren zur Bestimmung des Restharns und zum Ausschluss einer Nierenstauung
Pathologie
Zum Vergleich: Normalbefunde
Differentialdiagnosen
- Prostatakarzinom
- Neurogene Blasenentleerungsstörungen
- Chronische Prostatitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemein
- Auswahl des Therapieverfahrens
- Die Wahl des Therapieverfahrens richtet sich nach Leidensdruck (siehe auch: International Prostate Symptom Score), klinischem Bild und Risiko der Progression des BPS
- Therapiemöglichkeiten
- Geringer Leidensdruck des Patienten, keine Risiken → Kontrolliertes Abwarten
- Starker Leidensdruck des Patienten mit/ohne Risiko für Progression des BPS → Medikamentöse Therapie
- Vorliegen einer absoluten OP-Indikation (siehe operative Therapie)
- Therapieziel
- Primär: Rasche Symptomreduktion und Verbesserung der Lebensqualität
- Langfristig: Hemmung der BPS-Progression
Konservative Therapie
- Therapiemöglichkeiten
- Kontrolliertes Abwarten
- Indikation: Bei mäßigen Beschwerden und geringem Leidensdruck des Patienten
- Maßnahmen: Änderungen des Lebensstils
- Medikamentöse Therapie
- Indikation
- Subjektive Beschwerden und stärkerer Leidensdruck des Patienten
- Progressionsrisiko des BPS
- Medikamente
- Alpha-Blocker (z.B. Alfuzosin, Tamsulosin)
- Indikation: Symptomatische Therapie
- 5-alpha-Reduktasehemmer (oder 5-α-Reduktasehemmer)
- Indikation
- Prostatavolumen ab 30–40 mL
- Progressionsrisiko des BPS
- Wirkmechanismus: Hemmung der Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron → Wachstumsreiz↓ → Symptomreduktion und Progressionshemmung
- Nebenwirkungen: Sexuelle Funktionsstörungen, Gynäkomastie
- Wirkstoff: Finasterid
- Indikation
- Phytotherapie (bspw. Sägepalmenextrakt, Kürbiskerne, Brennnesselwurzel)
- Alpha-Blocker (z.B. Alfuzosin, Tamsulosin)
- Indikation
- Kontrolliertes Abwarten
Operative Therapie
- Absolute OP-Indikationen
- Rezidivierender Harnverhalt
- Rezidivierende Harnwegsinfektionen
- Konservativ nicht beherrschbare, rezidivierende Makrohämaturien
- Harnblasenkonkremente
- Dilatation des oberen Harntraktes, eingeschränkte Nierenfunktion oder Niereninsuffizienz durch BOO
- Empfohlene Verfahren
- Prostatavolumen bis ca. 70 mL : Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P)
- Nebenwirkung: Retrograde Ejakulation aufgrund weiter Prostataloge mit offenstehendem Harnblasenhals
- Komplikation: TUR-Syndrom
- Bei langer OP-Dauer und/oder großer Wundfläche besteht die Gefahr des TUR-Syndroms durch Resorption der elektrolytfreien Spülflüssigkeit → Entstehung von Hyponatriämie und Hypervolämie (hypotone Hyperhydratation, siehe auch: Hyponatriämie - Therapie)
- Prostatavolumen ab ca. 70 mL : Offen-operative Verfahren (z.B. Adenomenukleation nach Freyer)
- Alternativen (unabhängig vom Volumen): Transurethrale Laseroperationen (HoLEP, Greenlight)
- Prostatavolumen bis ca. 70 mL : Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P)
Die operative Versorgung eines benignen Prostatasyndroms schließt eine spätere Prostatakarzinomentwicklung nicht aus, da Gewebereste im Körper verbleiben!
Bei nahezu allen operativen Maßnahmen kommt es nach der Operation dauerhaft zur retrograden Ejakulation in die Harnblase im Zuge der anatomischen Veränderung!
Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- N40: Prostatahyperplasie
- Inklusive: Adenofibromatöse Prostatahypertrophie
- Niedriggradige intraepitheliale Neoplasie der Prostata [low-grade PIN] Prostatahypertrophie (gutartig)
- Prostatavergrößerung (gutartig)
- Querbarre am Harnblasenhals (Prostata)
- Verschluss der prostatischen Harnröhre o.n.A.
- Exklusive: Gutartige Neubildungen der Prostata (D29.1), Hochgradige intraepitheliale Neoplasie der Prostata [high-grade PIN] (D07.5)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.