Abstract
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS, Synonym: Gasser-Syndrom) und die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP, Synonym: Moschcowitz-Syndrom) vereinen das Auftreten einer Hämolyse sowie Mikroangiopathien durch Plättchenthromben. Charakteristisch für das HUS ist eine ausgeprägte Nierenbeteiligung, für die TTP eine schwere Thrombozytopenie. Eine sichere Unterscheidung ist nicht immer möglich. Das HUS tritt gehäuft im Kindesalter im Anschluss an eine EHEC-Gastroenteritis, vermittelt durch das Shiga-Toxin, auf. Als weitere Ursache für eine thrombotische Mikroangiopathie sind angeborene oder antikörpervermittelte Inaktivierungen einer antithrombotisch wirkenden Protease zu nennen. Der Verdacht ergibt sich durch Symptome des Nierenversagens und den Nachweis einer Thrombozytopenie. In einer solchen Konstellation sollte ein Blutausstrich erfolgen, um den wegweisenden Nachweis von Fragmentozyten zu prüfen. Eine zügige Behandlung zur Abwendung eines terminalen Nierenversagens oder eines letalen Verlaufs ist wichtig. Über einen Plasmaaustausch mit Gabe von Frischplasma wird versucht, die Toxine und Antikörper zu eliminieren und die verminderte Proteaseaktivität zu substituieren.
Epidemiologie
- Häufigkeitsgipfel: Zum typischen hämolytisch-urämischen Syndrom kommt es häufig im Kindesalter → meist nach EHEC-Infektion
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Bei der durch EHEC ausgelösten HUS-Epidemie im Jahr 2011 sind mehr als 30 Menschen in Deutschland verstorben. Der Auslöser EHEC wurde zwar früh festgestellt, jedoch gelang es lange Zeit nicht, die kontaminierten Nahrungsmittel zu identifizieren. Letztendlich wurde vom RKI bekannt gegeben, dass der Erreger über Sprossen aus ägyptischen Bockshornkleesamen übertragen wurde.
- Synonym: Gasser-Syndrom
- Typisches HUS: Durch die Wirkung des Shiga-Toxins → zu den Symptomen des HUS kommt es nach vorangegangener Diarrhö
- Atypisches HUS: Ohne infektiöse Ursache, familiäres HUS → Schlechte Prognose!
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
- Synonym: Moschcowitz-Syndrom
- Ursache: Mangel an Metalloprotease ADAMTS 13
- Erworben durch Auto-Antikörper-Bildung
- Im Rahmen rheumatischer Erkrankungen
- Induziert durch Medikamente (u.a. einige Zytostatika)
- Während der Schwangerschaft (Östrogene)
- Angeboren
- Erworben durch Auto-Antikörper-Bildung
Pathophysiologie
Toxinwirkung oder Mangel an antithrombotisch wirkender Metalloprotease ADAMTS 13 (angeboren oder erworben durch Auto-AK) → Bildung von thrombozytenreichen Thromben → Mikroangiopathie (v.a. Niere und Gehirn) sowie Thrombozytopenie, Hämolyse mit Bildung von Fragmentozyten → Akute Nierenschädigung, ZNS-Symptomatik
Symptome/Klinik
- Allgemeine Symptome: Abgeschlagenheit, Fieber
- Spezifische Symptome
- Hämolytische Anämie: Abgeschlagenheit, Blässe, Tachykardie, ggf. brauner Urin bei Hämoglobinurie
- Thrombozytopenie, Störung der Thrombozytenaggregation: Petechiale Blutungen
-
Akute Nierenschädigung: Insbesondere in der anurischen Phase kann es zu folgenden Symptomen kommen
- Oligurie/Anurie
- Arterielle Hypertonie
- Periphere Ödeme
- Zerebrale Beeinträchtigung
Diagnostik
Klinische Chemie
- Allgemein
- Ausgeprägte Thrombozytopenie
- Hämolytische Anämie: Hämolysezeichen, Polychromasie
-
Nierenschädigung
- Erhöhte Retentionsparameter: Kreatinin↑
- Hämaturie, Proteinurie
- Speziell
- Nachweis von Fragmentozyten im Ausstrich
- Bestimmung der Aktivität der Metalloprotease ADAMTS 13 (ggf. Nachweis Auto-AK)
Therapie
Supportive Therapie
Das Krankheitsgeschehen und der genaue Wirkmechanismus der Therapie sind noch nicht ausreichend geklärt. Folgende Therapieoptionen werden empfohlen:
- Gabe von Fresh Frozen Plasma (FFP), Plasmapherese
- Dialyse oder Hämofiltration
- Bei autoimmuner Genese zusätzlich Immunsuppression (Glucocorticoide, Rituximab)
- Bei ausbleibendem Erfolg wird Eculizumab empfohlen (zum Teil erfolgreich während der HUS-Epidemie 2011 eingesetzt)
- Eine antibiotische Therapie kann bei schwereren Verläufen eines HUS infolge EHEC-Infektion erfolgen[1][2]
Eine Thrombozytentransfusion kann zu einer Aggravierung des Krankheitsbildes führen und sollte möglichst unterlassen werden!
Komplikationen
- Niere
- Vaskulär-bedingte rapid progressive Glomerulonephritis
- Chronische Niereninsuffizienz und arterielle Hypertonie
- ZNS: Zerebrale Krampfanfälle
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Die Prognose ist vor allem vom Therapiebeginn abhängig. Ein frühzeitiger Beginn senkt nicht nur die akuten Komplikationen (Akute Niereninsuffizienz, Koma), sondern verhindert auch die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz.
- Typisches hämolytisch-urämisches Syndrom: Geringe Letalität (1–5%)
- Andere Formen: Hohe Letalität (frühe Therapie wichtig), hohes Risiko für terminale Niereninsuffizienz
- Langfristig: Chronische Niereninsuffizienz
Prävention
Meldepflicht
Nach dem Infektionsschutzgesetz ist der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod am enteropathischen hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) namentlich meldepflichtig.
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 59-2019-3/3: Caplacizumab bei thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura – Die HERCULES-Studie
- Studientelegramm 56-2018-3/3: Nachbericht zum ASH-Kongress 2: Die Kunst der Therapie bei TTP
- Studientelegramm 44-2018-2/3: Zulassung von Caplacizumab bei Thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura
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Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
Hämolytisch-urämisches Syndrom
- D59.-: Erworbene hämolytische Anämien
- N08.-*: Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.2*: Glomeruläre Krankheiten bei Blutkrankheiten und Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- disseminierter intravasaler Gerinnung [Defibrinationssyndrom] (D65.-†)
- hämolytisch-urämischem Syndrom (D59.3†)
- Kryoglobulinämie (D89.1†)
- Purpura Schoenlein-Henoch (D69.0†)
- Sichelzellenkrankheiten (D57.-†)
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- N08.2*: Glomeruläre Krankheiten bei Blutkrankheiten und Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Thrombotische Mikroangiopathie
- M31.-: Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
- M31.1: Thrombotische Mikroangiopathie
- N08.-*: Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.5*: Glomeruläre Krankheiten bei Systemkrankheiten des Bindegewebes
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- Goodpasture-Syndrom (M31.0†)
- Granulomatose mit Polyangiitis (M31.3†)
- mikroskopischer Polyangiitis (M31.7†)
- systemischem Lupus erythematodes (M32.1†)
- thrombotischer thrombozytopenischer Purpura (M31.1†)
- Wegener-Granulomatose (M31.3†)
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- N08.5*: Glomeruläre Krankheiten bei Systemkrankheiten des Bindegewebes
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.