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Drohende Frühgeburt

Letzte Aktualisierung: 30.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Als Frühgeburt wird ein Neugeborenes vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (bis 36+6 SSW) bezeichnet. Eine drohende Frühgeburt kann sich durch einen frühen vorzeitigen Blasensprung, eine vorzeitige Wehentätigkeit oder auch asymptomatisch durch eine Zervixinsuffizienz ankündigen. Die Diagnostik erfolgt mittels CTG, Sonografie sowie ggf. biochemischer Tests. Aufgrund der erhöhten peripartalen Morbidität und Mortalität der Frühgeborenen werden abhängig vom Gestationsalter verschiedene Maßnahmen ergriffen (Tokolyse, Lungenreifeinduktion, peripartale Antibiotikatherapie), um eine drohende Frühgeburt abzuwenden bzw. das Komplikationsrisiko zu minimieren.

Epidemiologietoggle arrow icon

Perinatale Mortalität in Deutschland [1]
SSW Mortalitätsrate

<28+0 SSW

ca. 35%

28+0–31+6 SSW

ca. 8%

32+0–36+6 SSW

1–2%
Am Termin 0,1%

Lebensfähigkeit von Frühgeborenentoggle arrow icon

Im internationalen Vergleich wird die Lebensfähigkeit Frühgeborener unterschiedlich definiert. Nachfolgend wird die Einteilung der Leitlinie Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit der Fachgesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) dargestellt. [2]

Lebensfähigkeit von Frühgeborenen nach Gestationsalter und Gewicht [2]
Gestationsalter und Gewicht Überlebenschance
<22+0 SSW oder <23+0 SSW und <400 g Keine realistische Überlebenschance
22+0–22+6 SSW oder 23+0–23+6 SSW und <400 g Überleben mit z.T. starker Morbidität (Langzeitverlauf nicht vorhersehbar)
23+0–23+6 SSW oder 24+0–24+7 SSW und <400 g Überleben bei Behandlung in spezialisierten Zentren >50%, lebenslange ausgeprägte Morbidität möglich
≥24+0 SSW und ≥400 g Gute Überlebenschance, lebenserhaltende Therapie i.d.R. anzustreben

Ätiologietoggle arrow icon

Die Ätiologie der Frühgeburt beruht meist auf mehreren Faktoren, die klinisch in ein oder mehrere Leitsymptome (früher vorzeitiger Blasensprung, vorzeitige Wehentätigkeit, Zervixinsuffizienz) münden. Dabei sind etwa ⅔ aller Frühgeburten die Folge von vorzeitigen Wehentätigkeiten .

Maternale Risikofaktoren [1][3][4]

Fetale Risikofaktoren [3][4]

Iatrogene Risikofaktoren

Triple Itoggle arrow icon

Die Begriffe Amnioninfektionssyndrom und Chorioamnionitis wurden durch den Begriff Triple I abgelöst, um maternales Fieber von einer intrauterinen Infektion und/oder Inflammation zu unterscheiden. Die Drei „I“ stehen für die drei Arten einer intrauterinen Entzündung (Inflammation, Infektion oder beides). [1]

Definition [1]

Ätiologie

Klinik

Diagnostik

Eine Amniozentese ist nur in Ausnahmefällen (bspw. bei unklarem maternalem Infektionsherd) indiziert!

Komplikationen [1]

Therapie

Leitsymptometoggle arrow icon

Früher vorzeitiger Blasensprung (P-PROM)

Vorzeitige Wehentätigkeit [9]

Etwa ⅔ aller Frühgeburten sind Folge vorzeitiger Wehentätigkeiten! [1]

Zervixinsuffizienz

Diagnostiktoggle arrow icon

Die Diagnose „drohende Frühgeburt“ ist komplex, da viele Faktoren berücksichtigt werden müssen. Die unterschiedlichen Ursachen der Frühgeburtlichkeit müssen untersucht werden. Des Weiteren gibt es spezifische Tests, anhand derer Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt getroffen werden können.

(Kardio‑)Tokogramm [4]

Vaginale Untersuchung

  • Ziel: Palpatorische Beurteilung von Zervix und Muttermund
  • Beurteilung: Mögliche Anzeichen einer drohenden Geburt
    • Verkürzung der Zervix
    • Beginnende Öffnung des Muttermundes
  • Besonderheiten bei P-PROM: Untersuchung nur mit sterilem Spekulum

Patientinnen mit P-PROM dürfen wegen der Gefahr einer aufsteigenden Infektion nicht digital untersucht werden!

Sonografie

Transabdominale Sonografie

Transvaginale Sonografie [1][10]

Grenzwerte der Zervixlänge in der Schwangerschaft
Schwangerschaftswoche Zervixlänge
Normwerte

≤21+6 SSW

>40 mm

22+032+6 SSW

40 mm

≥33+0 SSW

35 mm
Verkürzung <34+0 SSW ≤25 mm

Labor- und Infektionsdiagnostik

Tests auf Frühgeburtlichkeit [1][9]

  • Fibronektin-Test
    • Indikation: Nur sinnvoll bei symptomatischen Patientinnen mit verkürzter Zervix
    • Zeitpunkt: 22+0–34+0 SSW
    • Durchführung
      • 24 h vor Probenentnahme vaginale Manipulation vermeiden
      • Schnelltest mittels eines Teststreifens: Abstrich aus dem hinteren Vaginalgewölbe
    • Aussagekraft für das Frühgeburtsrisiko innerhalb von 7 Tagen
      • Hoher negativer prädiktiver Wert bei Zervixlänge zwischen 15–30 mm
      • Zusatzkriterium bei Entscheidung für oder gegen therapeutische Maßnahmen
  • Nachweis von plazentarem α-Mikroglobulin (PAMG-1): Partosure®
    • Zeitpunkt: 19+0–35+6 SSW
    • Durchführung
      • 6 h vor Probenentnahme vaginale Manipulation vermeiden
      • Schnelltest mittels eines Teststreifens: Abstrich aus dem hinteren Vaginalgewölbe
    • Aussagekraft
      • Hohe Spezifität und Sensitivität bei einer Zervixlänge zwischen 15–30 mm
      • Gutes Zusatzkriterium bei einer Zervixlänge <25 mm
  • Weiterführende Diagnostik siehe auch: Diagnostik des Blasensprungs

Die Bestimmung von Biomarkern sollte auch bei Risikopatientinnen nur dann erfolgen, wenn Symptome vorliegen!

Therapietoggle arrow icon

Behandlungsoptionen bei drohender Frühgeburt

Ziel der Therapie ist die Verbesserung des fetalen Outcomes. Dies kann je nach Situation und in Abhängigkeit von der Lebensfähigkeit der Frühgeborenen durch Verlängerung oder Beendigung der Schwangerschaft erreicht werden. Grundsätzlich sollte vor der abgeschlossenen 34. SSW eine Schwangerschaftsverlängerung um mind. 48 Stunden zugunsten einer Lungenreifeinduktion erfolgen, sofern keine akut vitale Gefährdung für Mutter oder Kind vorliegt.

Lungenreifeinduktion

Tokolyse [1][4][11]

Die medikamentöse Wehenhemmung (Tokolyse) soll das Risiko einer Frühgeburt und damit verbundene (Langzeit‑)Schäden für das Kind reduzieren, indem die Schwangerschaft um einige Tage verlängert wird. Die gewonnene Zeit kann genutzt werden, um eine Lungenreifeinduktion und/oder eine Verlegung in ein Perinatalzentrum durchzuführen. Eine Fortführung der Tokolyse über den Abschluss der Lungenreife hinaus (>48 Stunden) führt nicht zur Senkung der Frühgeburtlichkeitsrate.

Indikationen

Kontraindikationen

Tokolytika

Es gibt eine Vielzahl von Tokolytika mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen in der Anwendung. Im klinischen Alltag erfolgt die Auswahl des passenden Tokolytikums individuell und unterscheidet sich von Klinik zu Klinik. Aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils wird der kontinuierliche venöse Einsatz von Betamimetika international nicht mehr empfohlen, dennoch ist Fenoterol weiter zur Tokolyse zugelassen. Andererseits wird trotz Off-Label Use Nifedipin zur Tokolyse empfohlen.

Durchführung

Die Kombination von Tokolytika sollte vermieden werden! [1]

Eine Dauertokolyse über mehr als 48 Stunden ist nicht indiziert!

Kindliche Neuroprotektion [1]

Die folgenden Maßnahmen sollen mögliche Hirnschäden beim unreifen Neugeborenen vermeiden oder abmildern

Psychosomatische Begleitung [1]

Spezifisches situatives Vorgehen

Prozedere bei frühem vorzeitigen Blasensprung [15]

In der Literatur wird ein an der SSW orientiertes Prozedere sehr unterschiedlich dargestellt, zumal jedes Krankenhaus diesbezüglich eigene Vorgaben hat. Die hier dargestellte Vorgehensweise ist demnach beispielhaft und kann eine konkrete Einzelfallentscheidung nicht ersetzen.

Allgemeine Maßnahmen

Blasensprung ≤21+6 SSW

Blasensprung zwischen 22+0 und 23+6 SSW

Blasensprung zwischen 24+0 und 33+6 SSW

Blasensprung zwischen 34+0 und 36+6 SSW

Prozedere bei vorzeitiger Wehentätigkeit [1]

Tokolyse

Lungenreifeinduktion

Körperliche Schonung [1][11]

  • Häufig empfohlen aufgrund klinischer Erfahrungswerte, jedoch keine Evidenz zur Vermeidung der Frühgeburtlichkeit
  • I.d.R. keine strenge Immobilisation wegen des steigenden Thromboserisikos!

Prozedere bei Zervixinsuffizienz [1][4][16]

Progesteron

  • Indikation: Zervixlänge ≤25 mm vor der 24+0 SSW [1]
  • Durchführung: Intravaginale Progesterongabe bis zur 36+6 SSW [1]

Pessartherapie

Cerclage der Zervix [1][18]

Totaler Muttermundverschluss [1][4]

Präventiontoggle arrow icon

Besonderheiten bei Entbindungtoggle arrow icon

Allgemeine Besonderheiten [1]

Sectio caesarea bei Frühgeborenen [1]

Nach einem uterinen Längsschnitt besteht in einer Folgeschwangerschaft eine erhöhte Rupturgefahr und die Indikation zu einer primären Re-Sectio!

Vaginal-operative Entbindung bei Frühgeborenen [1]

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

O34.-: Betreuung der Mutter bei festgestellter oder vermuteter Anomalie der Beckenorgane

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. Slattery et al.:Preterm deliveryIn: THE LANCET. Band: 360, 2002, .
  2. Uhl: Gynäkologie und Geburtshilfe compact. Georg Thieme Verlag 2018, ISBN: 978-3-131-07346-4.
  3. S2k-Leitlinie Prävention und Therapie der Frühgeburt.Stand: 1. September 2022. Abgerufen am: 21. April 2023.
  4. Adam, Oduncu:Hämatologische Erkrankungen in der SchwangerschaftIn: Der Gynäkologe. Band: 45, Nummer: 2, 2012, doi: 10.1007/s00129-011-2877-5 . | Open in Read by QxMD p. 95-102.
  5. Moutquin:Socio-economic and psychosocial factors in the management and prevention of preterm labour.In: BJOG : an international journal of obstetrics and gynaecology. Band: 110 Suppl 20, 2003, p. 56-60.
  6. Liem et al.:Ethnic and Racial Disparities in the Risk of Preterm Birth: A Systematic Review and Meta-AnalysisIn: American Journal of Perinatology. Band: 30, Nummer: 06, 2012, doi: 10.1055/s-0032-1326988 . | Open in Read by QxMD p. 433-450.
  7. Yüzen et al.:Increased late preterm birth risk and altered uterine blood flow upon exposure to heat stressIn: eBioMedicine. Band: 93, 2023, doi: 10.1016/j.ebiom.2023.104651 . | Open in Read by QxMD p. 104651.
  8. Uhl: Gynäkologie und Geburtshilfe compact. Georg Thieme Verlag 2023, ISBN: 978-3-132-44180-4.
  9. Gründler et al.:Zervixlänge und zervikouteriner Winkel in der Prädiktion einer Frühgeburt – eine prospektive KohortenanalyseIn: 29. Deutscher Kongress für Perinatale Medizin. Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) – „Hinterm Horizont geht's weiter, zusammen sind wir stark“. 2019, doi: 10.1055/s-0039-3401213 . | Open in Read by QxMD.
  10. Schleußner:The Prevention, Diagnosis and Treatment of Premature LaborIn: Deutsches Aerzteblatt Online. 2013, doi: 10.3238/arztebl.2013.0227 . | Open in Read by QxMD.
  11. Fachinformation - Tractocile 6.75mg/0.9ml Injektionslösung.. Abgerufen am: 23. Mai 2023.
  12. Kainer et al.: Facharztwissen Geburtsmedizin. Elsevier GmbH 2021, ISBN: 978-3-437-23753-9.
  13. Kurzwirksame Beta-Agonisten für geburtshilfliche Indikationen - einschließlich Partusisten® (Fenoterol): Wichtige Einschränkungen zur Anwendung.Stand: 1. Oktober 2013. Abgerufen am: 23. Mai 2023.
  14. Leitlinie zur Prophylaxe der Neugeborensepsis – frühe Form – durch Streptokokken der Gruppe B 2016.Stand: 1. März 2016. Abgerufen am: 18. Dezember 2018.
  15. Kyvernitakis et al.:Drohende Frühgeburt: wann Cerclage – wann Pessar – wann Progesteron?In: gynäkologische praxis. Band: 41, 2017, .
  16. Goya et al.:Cervical pessary in pregnant women with a short cervix (PECEP): an open-label randomised controlled trialIn: The Lancet. Band: 379, Nummer: 9828, 2012, doi: 10.1016/s0140-6736(12)60030-0 . | Open in Read by QxMD p. 1800-1806.
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  18. Fachinformation - Cefazolin.. Abgerufen am: 16. Februar 2022.
  19. von Kaisenberg et al.: Die Geburtshilfe. Springer 2020, ISBN: 978-3-662-44369-9.
  20. Moore et al.:Relationship of trimester-specific smoking patterns and risk of preterm birthIn: American Journal of Obstetrics and Gynecology. Band: 215, Nummer: 1, 2016, doi: 10.1016/j.ajog.2016.01.167 . | Open in Read by QxMD p. 109.e1-109.e6.
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