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Akute qualitative Bewusstseinsstörung - AMBOSS-SOP

Letzte Aktualisierung: 21.3.2023

Grundlagentoggle arrow icon

Ziele der AMBOSS-SOP „Akute qualitative Bewusstseinsstörung

Die folgenden Inhalte bilden das zeitökonomische und systematische Notfallmanagement ab, inkl.

  • Breiter, aber ausreichend fokussierter Ursachensuche
  • Unmittelbar notwendiger Therapiemaßnahmen
  • Bei gefundener Ursache: Verweise zur Weiterbehandlung

Die Therapie besteht in der Behandlung des Auslösers!

Eine multifaktorielle Genese ist im Blick zu behalten! Eine Reevaluation ist notwendig, wenn die Symptomatik nach Beheben einer Ursache nicht rückläufig ist!

Definitionen

  • Qualitative Bewusstseinsstörung: Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen, ohne dass die Wachheit reduziert ist
  • „Akut“: mit Entwicklung binnen Sekunden, Minuten, Stunden oder allenfalls wenigen Tagen
  • Häufige synonym verwendete Formulierungen
    • Akute Verwirrtheit
    • Akute Wesensänderung
    • Delir

Die folgenden Notfälle stellen höherrangige medizinische Probleme dar. Sollten sie zu irgendeinem Zeitpunkt zusätzlich zur qualitativen Bewusstseinsstörung auftreten, müssen sie unmittelbar behoben bzw. abgeklärt werden. Erst im Anschluss daran ist die weitere Abklärung der akuten qualitativen Bewusstseinsstörung möglich.

Akute qualitative Bewusstseinsstörung – Notfälle übergeordneter Dringlichkeit
Problem Vorgehen
Notfall höherer Dringlichkeitsstufe (cABC)
Quantitative Bewusstseinsstörung
Fremdgefährdung
Eigengefährdung

Das Geschehen kann dynamisch sein. Die genannten Notfälle können jederzeit auftreten!

Eine akute qualitative Bewusstseinsstörung kann durch einen schwerwiegenden Notfall bedingt sein! Sie erfordert eine dringende Abklärung, idealerweise durch ein interdisziplinäres Team !

Basismaßnahmen

Anamnese und Vorbefunde

Anamnese (bestenfalls als Kombination aus Eigen- und Fremdanamnese) und Sichtung der Vorbefunde sind essenziell, weil sich hieraus fast immer Hinweise auf Ursachen der qualitativen Bewusstseinsstörung ergeben!

Akute qualitative Bewusstseinsstörung – (Fremd‑)Anamnese
Ziele Beispielfragen
Symptome und Handlungsdruck erfassen

Symptome

  • Kann die Verwirrtheit näher beschrieben werden?
  • Welche Begleitsymptome liegen vor?
  • Bestehen Schmerzen?
  • Eigenanamnese
    • Was führt Sie her?
    • Haben Sie Schmerzen? Wo?
    • Ist Ihnen schwindelig?
    • Ist Ihnen übel? Haben Sie erbrochen?
  • Fremdanamnese: Welche Symptome haben Sie beobachtet oder wurden patientenseitig geäußert (insb. Schmerzen)?
Dynamik
  • Seit wann bestehen die Symptome?
  • Wie schnell haben sie sich entwickelt?

Vorbestehende Defizite

  • Bestanden bereits vorher neurologische Ausfälle wie Lähmungen, Gefühlsstörungen, Sprachstörungen o.Ä.?
  • Sind schon mal Gedächtnisprobleme, Probleme mit Alltagsfertigkeiten, der Orientierung o.Ä. aufgefallen?
Hinweise für mögliche Auslöser erfassen Ereignisse im Vorfeld
  • Ist in den letzten Tagen etwas Ungewöhnliches passiert? Bspw.
    • Traten Fieber, Husten oder ein Magen-Darm-Infekt auf?
    • Wurden Medikamente oder Drogen neu oder in veränderter Dosis eingenommen?
    • Kam es zu einer Kopfverletzung?
Evtl. vorherige Episoden
  • Ist so etwas bereits früher einmal aufgetreten?
  • Wurde damals eine Diagnose gestellt?

Vorerkrankungen (Auswahl)

  • Die für Delir/Enzephalopathie prädisponieren
  • Die einen epileptischen Anfall bedingen können
  • Die zu einer erhöhten Blutungswahrscheinlichkeit führen
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen und Risikofaktoren
  • Psychiatrische Erkrankungen
  • Sind Vorerkrankungen bekannt? Welche?
Einnahme von Substanzen
  • Werden Medikamente eingenommen? Welche und in welcher Dosierung? Wurden die Präparate in letzter Zeit gewechselt oder die Dosierungen geändert?
  • Werden Drogen konsumiert? Welche? Hat sich der Konsum in letzter Zeit verändert ?
  • Könnten giftige Substanzen oder Pflanzen eingenommen worden sein?

Klinische Untersuchung

Beurteilung des qualitativen Bewusstseins

Neurologische Untersuchung

Die neurologische Untersuchung sollte als orientierende neurologische Notfalluntersuchung erfolgen.

Internistische Untersuchung

  • Fokus: Ergeben sich Hinweise auf eine akute internistische Erkrankung, die die Verwirrtheit erklären könnte? Bspw.

Symptomatische Behandlung

Wenn bis hierhin ein Problem entdeckt wurde, bei dem ein unmittelbarer Behandlungsbeginn geboten ist , sollte bei den unter Abschnitt A aufgeführten Problemen eine sofortige Therapie begonnen und diese SOP parallel fortgeführt werden. Bei den unter Abschnitt B gelisteten Problemen sollte gemäß der jeweils aufgeführten SOP bzw. Kapitel verfahren werden.

A) Unmittelbarer Therapiebeginn parallel zur Weiterführung dieser SOP

Akute qualitative Bewusstseinsstörung – Gründe für einen sofortigen Therapiebeginn
Grund Therapieempfehlung
V.a. Sepsis

Schwerwiegende Abweichungen in der BGA

Respiratorische Insuffizienz

Blutzucker
Elektrolyte
V.a. Malnutrition, z.B. bei Alkoholabhängigkeit
Hypertensiver Notfall

B) Weiteres diagnostisches und therapeutisches Vorgehen gemäß spezifischer SOP

Bis auf wenige Ausnahmen benötigen alle Patient:innen mit akuter Verwirrtheit eine Notfallbildgebung! Für fast alle Fälle ist eine native cCT sinnvoll.

Anhand der Basismaßnahmen, der grundlegenden Diagnostik und/oder der Bildgebung kann der Großteil der infrage kommenden Diagnosen erkannt werden. Eine Auswahl der relevantesten Diagnosen sowie Links oder Hinweise zum weiteren Vorgehen sind hier aufgelistet.

Primäre ZNS-Ursachen

Akute qualitative Bewusstseinsstörung – Primäre ZNS-Ursachen (Auswahl)
Diagnose/Erkrankung Weiteres Vorgehen
ZNS-Infektion
Postiktaler Zustand
Intrakranielle Druckerhöhung
Intrakranielle Blutung
Frische zerebrale Ischämie
Zerebrale Sinus- oder Venenthrombose
Schädelhirntrauma
Intrakranieller Tumor
  • Spezifische weitere Versorgung in Abhängigkeit vom klinischen und/oder radiologischen Bild, z.B.
    • Hirndrucksenkung
    • Ggf. sofortige neurochirurgische Vorstellung
    • Neuroonkologische Vorstellung

Systemische Ursachen

Akute qualitative Bewusstseinsstörung – Systemische Ursachen (Auswahl)
Diagnose/Erkrankung Weiteres Vorgehen
Volumenmangel
Infektion
Hypo-/Hyperglykämie
Elektrolytstörungen Natrium
Kalium
Calcium
Leberinsuffizienz
Niereninsuffizienz
Schilddrüsendysfunktion
Intoxikation
Entzug
UAW

Alle Patient:innen mit akuter qualitativer Bewusstseinsstörung, deren Ursache nach Bearbeitung dieser SOP noch nicht geklärt ist, benötigen eine weitergehende Abklärung!

  • Schnellstmögliche Diagnostik
  • Je nach Arbeitsdiagnose ggf. im Verlauf
    • Laboranalyse erweitern
    • Kognitive Tests
    • Psychiatrische Expertise hinzuziehen
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  10. Neurointensivmedizin - kompakt 2017 .