Abstract
Die Endometriose ist eine Erkrankung, bei der sich endometriumähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium), intra- oder extragenital, teilweise sogar extraabdominell findet. Die Symptome sind sehr umfangreich und unspezifisch. Leitsymptome sind abdominelle Schmerzen (zyklusabhängig und -unabhängig), Dysmenorrhö (schmerzhafte Regelblutung), Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), gastrointestinale oder urologische Beschwerden sowie Infertilität. Betroffen sind Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Da die Erkrankung hormonabhängig ist, bessern sich die Beschwerden in der Menopause. Endometriose ist eine chronische Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sind operativer oder medikamentöser (hormoneller) Art und müssen individuell mit der Patientin abgestimmt werden.
Definition
Unter Endometriose versteht man das Vorkommen von Endometriumzellen außerhalb ihrer physiologischen Lokalisation, also der Gebärmutterschleimhaut. Diese ektopen Schleimhautinseln unterliegen dem hormonellen Zyklus und können im gesamten Körper auftreten.
Epidemiologie
- Alter: Häufigkeitsgipfel zwischen 20.–40. Lebensjahr
- Verbreitung: 2–10% aller Frauen sollen betroffen sein
- Die Erkrankung tritt familiär gehäuft auf
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die Ursache der Endometriose ist nicht bekannt.
- Folgende Theorien und viele weitere werden diskutiert:
- Transplantationstheorie (Sampson-Hypothese): Retrograde Menstruation mit Verschleppung vitaler Endometriumzellen entlang der Tuben in die Bauchhöhle
- „Tissue Injury and Repair“-Theorie
- Durch autonome Muskelbewegungen kommt es zu Mikrotraumen in der Gebärmutterschleimhaut → Herausgelöste Endometriumzellen werden an einen anderen Ort verschleppt
- Nachfolgende Reparationsmechanismen verstärken die uterusinternen Bewegungsabläufe → Tragen so zur Entstehung eines Circulus vitiosus mit weiterer Verschleppung herausgelöster Endometriumzellen bei
- Metaplasietheorie: Pluripotentes Gewebe formt sich in der Embryonalentwicklung de novo zu Endometriumzellen um
- Metastasenähnliche lymphogene und hämatogene Streuung
- Genetische Ursachen
-
Risikofaktoren für die Entstehung einer Endometriose
- Genetische Disposition
- Frühe Menarche, späte Menopause
- Kurze Menstruationszyklen
- Späte erste Schwangerschaft
Klassifikation
Einteilung nach Lokalisation
- Endometriosis genitalis interna: Endometriosezellen im Myometrium (Adenomyosis uteri) und im Abgangsbereich der Tuben [1]
- Endometriosis genitalis externa: Endometriumzellen in den weiteren weiblichen Geschlechtsorganen und im Peritoneum (Tuben, Ovarien, Sakrouterinbänder, Douglas-Raum, Vagina, Vulva, Perineum)
- Endometriosis extragenitalis: Endometriumzellen in Harnblase, Darm mit Appendix vermiformis, Bauchnabel, Retroperitoneum, Lunge, Zwerchfell, Gehirn, etc.
- Häufigste Lokalisationen sind im Bereich der Sakrouterinbänder und Ovarien
Symptome/Klinik
Zyklusabhängige oder -unabhängige Beschwerden
Endometriosezellen reagieren ebenso wie das physiologische Endometriumgewebe auf den hormonellen Zyklus und proliferieren unter Östrogeneinfluss.
Zyklusabhängige Beschwerden
- Sekundäre Dysmenorrhö
- Zyklussynchroner Crescendoschmerz
- Zyklusanomalien
-
Spotting, Menorrhagien, Metrorrhagien, Hypermenorrhö
- Genitale Endometrioseherde, die prä- oder postmenstruell bluten können
- Bei Platzen von Endometriosezysten kommt es zu vaginalen Schmierblutungen
- Hypermenorrhö: Oft bei Adenomyosis uteri
-
Spotting, Menorrhagien, Metrorrhagien, Hypermenorrhö
Zyklusunabhängige Beschwerden
- Dauerhafte Unterleibsbeschwerden
- Meist bei großen Ovarialzysten oder Verwachsungen im Bauchraum
- Lokalitätsabhängige Beschwerden
- Endometriosis genitalis
- Endometriosis extragenitalis
- Zyklische Hämaturie und Dysurie bei Blasenbefall
- Hämatochezie und Dyschezie bei Darmbefall
- Hämoptysen bei Lungenbefall
Eine Endometriose kann auch vollkommen symptomfrei verlaufen: Bei vielen Frauen, die aus anderen Gründen operiert werden, zeigt sich eine Endometriose, ohne dass jemals diesbezügliche Beschwerden aufgetreten sind!
Dyspareunie
- Definition: Sammelbegriff für Schmerzen, die beim Geschlechtsverkehr auftreten (beide Geschlechter!)
- Ursachen
- Organisch
- Endometriose
- Anomalien in den Geschlechtsanlagen
- Infektionen
- Organisch
- Differentialdiagnose: Nichtorganische Dyspareunie
Diagnostik
- Körperliche Untersuchung: Gynäkologische Untersuchung mit Spekulumeinstellung und bimanueller Palpation
- Transvaginale Sonographie
- Nachweis ovarieller Zysten (Schokoladenzysten): Raumforderung mit homogen-echoarmer Binnenstruktur
- Endometriosis genitalis interna: Diffus vergrößerter Uterus mit diffus-streifigem Myometrium
- Evtl. Therapieversuch: Mit monophasischen oralen Kontrazeptiva für 3–6 Monate als Langzyklus vor der Entscheidung zu einer diagnostischen Laparoskopie
- Operativ: Diagnostische Laparoskopie (möglichst prämenstruell) mit Probeentnahme und histologischer Diagnosesicherung
- Ggf. Koloskopie, Zystoskopie usw.
Größe des Befundes und die Beschwerden korrelieren häufig nicht miteinander!
Pathologie
- Endometrioseherde zeigen sich makroskopisch als gelb-bräunliche (manchmal bläulich-violette), stecknadelkopfartige Läsionen, in denen sich Siderophagen feststellen lassen
- Ovar: Insb. im Ovar können sich große Zysten bilden, die durch Einblutung einen braunen Flüssigkeitsinhalt zeigen können und als Schokoladenzysten bezeichnet werden
- Tubae uterinae
- Salpingitis isthmica nodosa: Knotige Veränderung im Bereich der Tubenabgänge
- Folgen
- Minderung der Durchlässigkeit
- Risikoerhöhung für Sterilität und Extrauteringravidität
- Folgen
- Salpingitis isthmica nodosa: Knotige Veränderung im Bereich der Tubenabgänge
Zum Vergleich: Normalbefunde
Differentialdiagnosen
- Postoperative Verwachsungen im Bauchraum ohne das Vorliegen einer Endometriose
- Entzündlich-infektiöse Erkrankungen des Bauchraums
- Ovarialtumor oder -zyste
- Uterusmyome, insb. intramurale
- Endometriumkarzinom
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Medikamentös
Grundlage der medikamentösen Behandlung ist die Unterbrechung des zyklischen, vor allem östrogenabhängigen Wachstums der Endometrioseherde.
- Leichte Formen und Anfangsbehandlung
- Symptomatisch: NSAR zur Schmerztherapie
- Gestagenbetonte Kontrazeptiva (Einphasenpräparate, z.B. mit Dienogest) als kontinuierliche Einnahme im Langzyklus ohne Menstruationsunterbrechung
- Reine Gestagentherapie, z.B. als Minipille
- Bei weiter bestehenden Beschwerden: Antiöstrogene Therapie mit GnRH-Agonisten, z.B. Buserelin, Goserelin
- Wirkmechanismus: Senkung der FSH/LH-Spiegel durch stetige Überstimulation der Hypophyse mit allmählicher Down-Regulation der GnRH-Rezeptoren → Ovarsuppression → Senkung der Östrogenspiegel
- Weitere Indikationen für GnRH-Agonisten
- ♀: Metastasierendes Mamma-Ca
- ♂: Fortgeschrittenes hormonsensitives Prostata-Ca
- Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Obstipation; ♀: Wechseljahresbeschwerden (z.B. Hitzewallungen, Scheidentrockenheit, Abnahme der Libido); ♂: Hitzewallungen, Flush, Gynäkomastie
- Bei Therapierefraktärität und sehr ausgeprägten Beschwerden
- In Studien: Einige selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM), z.B. Raloxifen
- Aromatasehemmer, z.B. Anastrozol oder Letrozol
- Veraltet: Testosteronpräparate, z.B. Danazol
Operativ/Interventionell
- Operation
- Laparoskopische Entfernung aller erreichbaren Endometrioseherde, Ausschälung der Schokoladenzysten
- Sehr ausgedehnte Herde mit Ummauerung von Organstrukturen können eine Laparotomie notwendig machen
- Bei diffuser Adenomyosis uteri: Hysterektomie nach abgeschlossener Familienplanung
- Intervention
- Koloskopische oder zystoskopische Entfernung von Endometrioseherden
- Postoperativ/-interventionell
- Gabe von GnRH-Analoga für ca. sechs Monate zur Verhinderung eines Rezidivs
- Gabe von Gestagenen
Komplikationen
-
Sterilität
- Ovarielle Schokoladen-/Teerzysten können die Ovulation behindern
- Tubenwinkelendometriose behindert die Wanderung der Eizelle in das Uteruskavum
- Gleichzeitig erhöhtes Risiko für Extrauteringraviditäten
- Narbige Verwachsungen können zu Ummauerung und Strikturen von Organstrukturen führen
- Darm: Obstipation bis (Sub‑)Ileus
- Ureter: Harnstau
- Äußerst selten kann es zu einer malignen Entartung kommen
Durch Befall der Ovarien und Tuben kann es zur Unfruchtbarkeit der Frau kommen!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Die Endometriose neigt zu häufigen Rezidiven, nach einer Schwangerschaft kommt es jedoch bei einigen Frauen zu einer dauerhaften Besserung der Beschwerden. Spätestens mit Sistieren des Östrogeneinflusses nach der Menopause wird eine Beschwerdefreiheit erreicht.
AMBOSS-Podcast zum Thema
Endometriose: Unterschätzte Differentialdiagnose (Juli 2020)
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Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- N80.-: Endometriose
- N80.0: Endometriose des Uterus
- N80.1: Endometriose des Ovars
- N80.2: Endometriose der Tuba uterina
- N80.3: Endometriose des Beckenperitoneums
- N80.4: Endometriose des Septum rectovaginale und der Vagina
- N80.5: Endometriose des Darmes
- N80.6: Endometriose in Hautnarbe
- N80.8: Sonstige Endometriose
- Thorakale Endometriose
- N80.9: Endometriose, nicht näher bezeichnet
- F52.-: Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit
- F52.6: Nichtorganische Dyspareunie
- Eine Dyspareunie (Schmerzen während des Sexualverkehrs) tritt sowohl bei Frauen als auch bei Männern auf. Sie kann häufig einem lokalen krankhaften Geschehen zugeordnet werden und sollte dann unter der entsprechenden Störung klassifiziert werden. Diese Kategorie sollte nur dann verwendet werden, wenn keine andere primäre nichtorganische Sexualstörung vorliegt (z.B. Vaginismus oder mangelnde/fehlende vaginale Lubrikation).
- Psychogene Dyspareunie
- Exklusive: Dyspareunie (organisch) (N94.1)
- F52.6: Nichtorganische Dyspareunie
- N94.-: Schmerz und andere Zustände im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus
- N94.1: Dyspareunie
- Exklusive: Psychogene Dyspareunie (F52.6)
- N94.1: Dyspareunie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.