ambossIconambossIcon

Intra- und postpartale Blutungen

Letzte Aktualisierung: 24.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Der Begriff „intra- und postpartale Blutungen“ (oder auch „peripartale Blutungen“) umfasst alle Blutungen unmittelbar vor, während und nach der Geburt. Die meisten postpartalen Blutungen treten innerhalb der ersten 4 Stunden nach der Geburt auf. Ursächlich ist meist eine Kontraktionsstörung des Uterus (Uterusatonie); seltener können auch bspw. Geburtsverletzungen, eine ausbleibende oder unvollständige Plazentalösung oder Plazentaimplantationsstörungen der Grund sein. Neben der Therapie der Blutungsursache steht insb. die Therapie von Blutungskomplikationen wie ein Volumenmangelschock oder eine disseminierte intravasale Gerinnung an oberster Stelle. Dabei kommen zunächst konservative Verfahren wie die Gabe von Uterotonika oder die Anwendung uteruskomprimierender Handgriffe zum Einsatz. Bei lebensbedrohlichen Blutungen können auch invasive Maßnahmen wie Uteruskompressionsnähte, Gefäßligaturen oder als Ultima Ratio die postpartale Hysterektomie Anwendung finden. Weltweit stellen peripartale Blutungen die Hauptursache für maternale Mortalität dar.

Für das Notfallmanagement eines ggf. entstehenden Schocks siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP

Definitiontoggle arrow icon

  • Allgemeine Definition: Blutungen, die unmittelbar vor, während oder nach der Geburt auftreten
  • Definition der postpartalen Blutung nach dem Ausmaß des Blutverlusts
    • DGGG-Leitlinie 2022 [1][2]
    • WHO (unabhängig vom Geburtsmodus) [1][2][3]
      • Blutverlust ≥500 mL innerhalb von 24 h nach Geburt
      • Blutverlust ≥1.000 mL innerhalb von 24 h nach Geburt (schwere Blutung)
    • ACOG [1][4]
      • Blutverlust ≥1.000 mL oder
      • Symptome (der Hypovolämie) innerhalb von 24 h nach Geburt (unabhängig vom Geburtsmodus und Ausmaß des Blutverlusts)
  • Definition der postpartalen Blutung nach dem Zeitpunkt des Auftretens[1]

Etwa ⅔ aller lebensbedrohlichen Blutungen treten während der ersten 4 h nach Entbindung auf! [1]

Epidemiologietoggle arrow icon

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

Die 4 Ts (Geburtshilfe) [1]

Bei jeder intra- oder postpartalen Blutung sind folgende 4 Ursachen zuerst auszuschließen:

Mit Zunahme der Sectiones steigt auch die Anzahl an Plazentaimplantationsstörungen, was bei Schwangeren mit Z.n. Sectio immer bedacht werden muss!

Risikofaktoren [1][4]

Neben den ätiologischen Faktoren sind zahlreiche weitere Risikofaktoren bekannt. Intra- und postpartale Blutungen können jedoch auch ohne Risikofaktoren auftreten.

Bereits präpartal sollten eventuelle Risikofaktoren abgefragt sowie Plazentasitz und Nabelschnur per Ultraschall überprüft und dokumentiert werden! Nur so kann eine Versorgung in einer geeigneten Klinik gewährleistet und ein Großteil der Blutungskomplikationen verhindert werden!

Eine postpartale Blutung kann auch ohne Risikofaktoren auftreten!

Risikobewertung [4]

Risikofaktoren postpartaler Blutungen
Maternal Im Schwangerschaftsverlauf Unter der Geburt
Niedriges Risiko
  • Einling
Mittleres Risiko
Hohes Risiko
Ohne Risikoangabe

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

Diagnostiktoggle arrow icon

Bei unklaren Blutungen ist die Situation im Kreißsaal oft hektisch. Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und strukturiert in kurzer Zeit die wesentlichen Blutungsursachen abzuklären. Für weiterführende Informationen zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei geburtshilflichen Notfällen siehe: Interdisziplinäre Notfälle im Kreißsaal und Interdisziplinäre Notfallkonzepte für den Kreißsaal.

Intrapartale Blutung

Bei einer starken intrapartalen Blutung sollte die Geburt so schnell es geht beendet werden. Der Geburtsmodus und das individuelle Vorgehen wird im Einzelfall auf Basis des Zustandes von Mutter und Kind, des Geburtsfortschritts (Zervixreife) und sonstiger Einzelfaktoren entschieden.

Postpartale Blutung

Bei der postpartal anhaltenden Blutung stehen die Stabilisierung der Mutter, die Messung des Blutverlustes und eine zügige Abklärung der Blutungsursache im Vordergrund!

Die Diagnostik erfolgt meistens parallel zu den therapeutischen Basismaßnahmen und in enger Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal (bspw. Hebammen, Anästhesisten)!

Therapietoggle arrow icon

Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen [2]

Ab einem Blutverlust von ca. 1.000 mL sind unverzüglich folgende Basismaßnahmen einzuleiten:

Die Basismaßnahmen werden meistens parallel zur Blutungsdiagnostik durchgeführt!

Die Blutungsmenge wird bei rein optischer Beurteilung um bis zu 50% unterschätzt! [1][21887;842]

Bei stark anhaltender Blutung: Rechtzeitiges Einleiten weiterführender, spezifischer Maßnahmen!

Spezifische Maßnahmen

Dokumentation [1]

  • Zügige, detaillierte Dokumentation in dafür vorgesehene Formulare
  • Meldung als klinischer Vorfall mit Nachbesprechung
  • Essenzielle Dokumentationsinhalte
    • Information/Einverständnis der Patientin (und Information der Angehörigen) [1]
    • Alle Teammitglieder sowie die genaue Uhrzeit ihrer Benachrichtigung und ihrer Ankunft
    • Abfolge der Ereignisse
    • Allgemeinzustand der Patientin
    • Zeitpunkt und Verabreichung aller Medikamente
    • Zeitpunkt und Verabreichung von Infusionen und Blutprodukten
    • Zeitpunkt und Art anästhesiologischer und chirurgischer Interventionen
    • Zeitpunkt radiologischer Interventionen
    • Betreuung des Neugeborenen

Nachbesprechung [1]

Eine Nachbesprechung sollte in jedem Fall klinikintern erfolgen. Um negative Folgen (psychisch/physisch) bei der Patientin zu verhindern, sollte die Notfallsituation auch mit der betroffenen Familie besprochen werden.

  • Interdisziplinäre Nachbesprechung (klinikintern)
    • Zeitnah mit gesamtem beteiligten Team
    • Krisenintervention ermöglichen
  • Mit der Patientin

Maßnahmen bei schweren intra- und postpartalen Blutungentoggle arrow icon

Die Therapie einer schweren peripartalen Hämorrhagie ist komplex und stark abhängig von der individuellen Situation und Ursache. Oft gibt es ein eskalierendes Behandlungskonzept, das nach klinikinternen Standards und parallel zur chirurgischen Therapie erfolgt. In jedem Fall sollte eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Personal der Anästhesiologie bzw. Intensivmedizin stattfinden. Für das konkrete Vorgehen bei schweren Blutungen siehe: Spezifische Krankheitsbilder der intra- und postpartalen Blutungen und Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP. Ab einem Blutverlust von ca. 1.500 mL sind zusätzlich zu den Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen i.d.R. folgende Maßnahmen erforderlich : [2]

Für das konkrete Vorgehen bei schweren Blutungen siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP!

Unmittelbares Therapieziel ist die Wiederherstellung der hämodynamischen Stabilität und Normovolämie! [1]

Komplikationsmanagement bei schweren intra- und postpartalen Blutungen [2]

Übersicht möglicher Komplikationen

Übersicht möglicher Komplikationen von schweren intra- oder postpartalen Blutungen
Beschreibung Maßnahmen
Disseminierte intravasale Gerinnung
  • Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung und stadienabhängiges Vorgehen: Siehe DIC
Apoplexia uteri (Couvelaire-Syndrom)
Akute Nierenschädigung
  • Anhaltende Oligurie nach massiver Blutung infolge einer Minderperfusion der Niere
Multiorganversagen
  • Intensivmedizinische Betreuung mit lebenserhaltenden Maßnahmen

Häufige Auslöser für schwerwiegende Komplikationen bei intra- und postpartalen Blutungen [1]

Die meisten Komplikationen intra- und postpartaler Blutungen sind vermeidbare Folgen eines inadäquaten klinischen Managements!

Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungentoggle arrow icon

Bei anhaltend starker Blutung und Ausschöpfung aller nicht-invasiven Maßnahmen kann es erforderlich sein, eine operative Therapie durchzuführen. Wann immer möglich, werden uteruserhaltende Verfahren gewählt; die postpartale Hysterektomie gilt als Ultima Ratio. Die Rate erfolgreicher Schwangerschaften nach uteruserhaltenden Verfahren liegt bei ca. 75–85%.

Uteruserhaltende Verfahren [1]

Invasive Maßnahmen erfolgen i.d.R. parallel zur Gabe von Uterotonika (siehe auch: Therapie der Uterusatonie) und richten sich nach der Blutungsursache. Differenzialdiagnostisch sollte außerdem immer an eine Plazentaretention als Blutungsursache gedacht werden (siehe auch: Maßnahmen bei Plazentalösungsstörungen und relevanter Blutung).

Uterustamponade/Ballonkatheter [1]

Interventionell-radiologische Therapie (Arterielle Katheterembolisation des Uterus) [1]

Ligatur der A. uterina

Uteruskompressionsnähte

  • Ziel: Vermeidung einer postpartalen Hysterektomie
  • Indikation: Diffuse/atone uterine Blutungen nach vaginaler Entbindung oder Sectio caesarea
  • Verfahren: In Abhängigkeit von der Blutungsursache, bspw.
    • Klassische B-Lynch-Naht („Rucksack-Naht“)
    • Pereira-Naht oder Z-Naht [1]
  • Erfolgsquote: Ca. 90%

Postpartale Hysterektomie

Uterusatonietoggle arrow icon

Allgemeine Informationen

  • Definition: Kontraktionsschwäche des Uterus nach vollständiger oder unvollständiger Plazentaausstoßung, wodurch es zu einer verstärkten Nachblutung aus myometrialen Gefäßen kommen kann
  • Epidemiologie: Ursache >80% aller primären postpartalen Blutungen

Risikofaktoren

Klinik und Diagnostik

  • Klinische Diagnose
    • Schubweise vaginale Blutungen, teils wasserfallartig bei Druck auf den Fundus uteri
    • Großer, weicher, aufsteigender Uterus
  • Zusätzlich: Ausschluss anderer Blutungsursachen aufgrund der Möglichkeit des zeitgleichen Auftretens (bspw. Plazentaretention, Geburtsverletzungen und Gerinnungspathologien)

Therapie der Uterusatonie

Spezielle Maßnahmen

Konservative Therapie mit Uterotonika

Kompression des Uterus von außen

  • Credé-Handgriff
  • Weitere Handgriffe

Invasive Maßnahmen

Auch wenn grundsätzlich der Uteruserhalt angestrebt wird, darf das mütterliche Überleben dadurch nicht gefährdet werden!

Plazentaimplantationsstörungtoggle arrow icon

Aufgrund der innerhalb der letzten Jahrzehnte gestiegenen Sectio-Rate nimmt auch die Inzidenz der Plazentaimplantationsstörungen zu. Diese werden auch als Placenta-accreta-Spektrum (PAS) bezeichnet. [1][1]

Allgemeine Informationen

Diagnostik [1]

(Doppler‑)Sonografische Kriterien bei Plazentaimplantationsstörungen [1][4]
Sonografie (B-Bild) Kriterium Befundbeschreibung
Fehlende retroplazentare Grenzschicht („loss of clear zone“) Unterbrechung oder kompletter Verlust der Grenzschicht zwischen Plazenta und Myometrium, hypoechogene „clear zone“
„Mottenfraßartige“ multiple Lakunen Multiple irreguläre (mottenfraßartige) Lakunen mit ggf. turbulentem Blutfluss (i.d.R. senkrecht zur Grenzschicht)
Unterbrechung der Blasenwand Unterbrechung oder kompletter Verlust der hyperechogenen Darstellung der Blasenwand
Verdünnung des Myometriums Verdünnung (<1 mm) oder fehlende Darstellung des Myometriums im Bereich der Plazenta
Vor- oder Auswölbung der Plazenta („placental bulge“) Vor- oder Auswölbung der uterinen Serosa durch verändertes Plazentagewebe
Lokalisiertes exophytisches Plazentagewebe Durchbrechung der uterinen Serosa und bspw. Einwachsen in die Harnblase
Doppler-Sonografie Kriterium Befundbeschreibung
Hypervaskularität zwischen Uterus und Harnblase Irreguläre Durchblutung (vermehrte gewundene Gefäße mit bidirektionalem Fluss) zwischen Myometrium und der Hinterwand der Harnblase
Subplazentare Hypervaskularität Irreguläre Durchblutung (vermehrte gewundene Gefäße mit bidirektionalem Fluss) im Plazentabett
Brückengefäße („bridging vessels“) Gefäße zwischen Plazenta und Myometrium/Serosa, ggf. bis in andere Organe (bspw. Harnblase)
Lakunenspeisende Gefäße Gefäße mit hoher Blutflussgeschwindigkeit aus dem Myometrium in die Lakunen ziehend
3D-Doppler-Sonografie Intraplazentare Hypervaskularität Irreguläre (und komplexe) Gefäßzeichnung

Prozedere und Therapie bei Plazentaimplantationsstörung

Vorgehen bei antepartaler Diagnosestellung von Placenta accreta, increta und percreta [1]

Vorgehen bei intrapartaler Diagnosestellung und vaginalem Geburtsmodus

Vorgehen bei intrapartaler Diagnosestellung und Sectio als Geburtsmodus

Plazentaretentiontoggle arrow icon

Allgemeine Informationen [4]

Klinik und Prozedere

Prophylaxe

Forcierter Zug ist wegen des Risikos eines Nabelschnurabrisses oder der Provokation einer Inversio uteri kontraindiziert!

Komplikationen

Die häufigste Komplikation bei einer (partiellen) Plazentaretention ist die Blutung!

Maßnahmen bei Plazentalösungsstörungen und relevanter Blutung [4]

Sofern innerhalb von 30 min bei aktivem Management (oder 60 min bei abwartendem Management) nach Geburt des Kindes keine Plazentalösung und/oder ein Blutverlust von >500 mL vorliegt, müssen Maßnahmen ergriffen werden (siehe auch: Nachgeburtsperiode und Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode).

Insertio velamentosatoggle arrow icon

Allgemeine Informationen

Antepartale Diagnostik und Prozedere

Komplikationen

Inversio uteritoggle arrow icon

Allgemeine Informationen

Diagnostik

Therapie bei Inversio uteri

Komplikationentoggle arrow icon

Die meisten Komplikationen intra- und postpartaler Blutungen gelten als vermeidbar und sind Folge eines schlechten klinischen Managements!

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Prognosetoggle arrow icon

Präventiontoggle arrow icon

Prävention [1]

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

O67.-: Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch intrapartale Blutung, anderenorts nicht klassifiziert

O69.-: Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch Nabelschnurkomplikationen

O72.-: Postpartale Blutungen

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. S2k-Leitlinie Peripartale Blutungen, Diagnostik und Therapie.Stand: 1. August 2022. Abgerufen am: 13. Dezember 2022.
  2. Wallenborn:Notfallsituationen in der geburtshilflichen AnästhesieIn: Notfallsituationen in der geburtshilflichen Anästhesie. Nummer: 58, 2017, doi: 10.19224/ai2017.180 . | Open in Read by QxMD p. 180-197.
  3. WHO: WHO recommendations for the prevention and treatment of postpartum haemorrhage. WHO Press 2012, ISBN: 978-9-241-54850-2.
  4. Kainer et al.: Facharztwissen Geburtsmedizin. Elsevier GmbH 2021, ISBN: 978-3-437-23753-9.
  5. Booker, Moroz:Abnormal placentationIn: Seminars in Perinatology. Band: 43, Nummer: 1, 2019, doi: 10.1053/j.semperi.2018.11.009 . | Open in Read by QxMD p. 51-59.

Icon of a lockNoch 3 weitere Kapitel kostenfrei zugänglich

Du kannst diesen Monat noch 3 Kapitel kostenfrei aufrufen. Melde dich jetzt an, um unbegrenzten Zugang zu erhalten.
 Evidenzbasierte Inhalte, von festem ärztlichem Redaktionsteam erstellt & geprüft. Disclaimer aufrufen.