Abstract
Unter akuten Leukämien versteht man maligne Neoplasien der lymphatischen oder myeloischen Zellreihe, aufgrund derer es zur Freisetzung von unreifen, nicht funktionstüchtigen Zellen (Blasten) aus dem Knochenmark ins Blut kommen kann.
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste maligne Tumorerkrankung im Kindesalter, die akute myeloische Leukämie (AML) trifft vor allem Erwachsene. Beide sind unter anderem mit Trisomie 21 und der exogenen Schädigung des Knochenmarks, z.B. durch Strahlen, Benzol oder Chemotherapie assoziiert. Klinisch führt die Verdrängung der physiologischen Leukopoese, Erythropoese und Thrombopoese zu Infektneigung, Anämie und Gerinnungsstörungen. Leukämien können mit erhöhten, erniedrigten oder normalen Leukozytenzahlen einhergehen, daher ist der Nachweis von Blasten im Knochenmark mitunter entscheidend für die Diagnosestellung. Die Chemotherapieschemata bei akuten Leukämien beinhalten grundsätzlich Hochdosiszyklen zur massiven Reduktion der Tumorzellzahl und anschließende Niedrigdosiszyklen zur Erhaltungstherapie. Je nach Risikoprofil der Patienten wird ggf. eine Stammzelltransplantation durchgeführt.
Epidemiologie
Akute lymphatische Leukämie [1]
-
Inzidenz: : Häufigkeitsgipfel im Kindesalter (ca. 5/100.000) und im hohen Erwachsenenalter (ca. 2/100.000)
- Häufigste maligne Tumorerkrankung des Kindesalters [2]
- 80% der akuten Leukämien im Kindesalter sind lymphatisch
Akute myeloische Leukämie
-
Inzidenz : Häufigkeitsgipfel im höheren Erwachsenenalter (100/100.000 bei Patienten > 70 Jahre) [3]
- 80% der akuten Leukämien im Erwachsenenalter sind myeloisch
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Akute lymphatische Leukämie
- Ursache größtenteils unbekannt
- Genetische Faktoren
- Trisomie 21
- Weitere Chromosomenaberrationen
Akute myeloische Leukämie
- Umweltfaktoren
- Benzol: Erhöht das Risiko bei chronischem Kontakt um das 4- bis 7-Fache
- Ionisierende Strahlung
- Genetische Faktoren
- Trisomie 21: Erhöht das Risiko um das 20-Fache
- Weitere Chromosomenaberrationen
- Hämatologische Erkrankungen
Klassifikation
Die akuten Leukämien können in lymphatische und myeloische Leukämien eingeteilt werden. Bei der akuten lymphatischen Leukämie kommt es zur Proliferation von lymphatischen Zellen, bei der akuten myeloischen Leukämie zur Proliferation von myeloischen Zellen. Sowohl in der Gruppe der akuten lymphatischen als auch der akuten myeloischen Leukämien können weitere Unterformen unterschieden werden. Für beide Leukämieformen existieren verschiedene Klassifikationssysteme, die unterschiedliche Kriterien zur Einteilung heranziehen.[4]
Als erstes wurde die sog. FAB-Klassifikation verwendet, bei der vor allem zytomorphologische Kriterien herangezogen werden[5]. Neuere Systeme wie die WHO-Klassifikation schließen auch zytogenetische und molekulargenetische Erkenntnisse mit ein. Hierdurch erhofft man sich eine bessere Objektivierbarkeit und Risikostratifizierung der Erkrankungsentitäten[6].
Klassifikation der ALL
FAB-Klassifikation der ALL [6]
Bei der FAB-Klassifikation wurden nur zytomorphologische Kriterien herangezogen und es konnten drei Subtypen unterschieden werden. Als einziger ist der Subtyp L3 klinisch relevant. Dieser Subtyp entspricht einer leukämischen Form des Burkitt-Lymphoms. Mittlerweile wird auch dieser Typ durch die WHO-Klassifikation abgedeckt (entspricht der „Burkitt“-B-ALL)
- Subtyp L1: Akute Lymphoblastenleukämie mit kleinen Zellen
- Subtyp L2: Akute Lymphoblastenleukämie mit mittelgroßen Zellen
- Subtyp L3: Akute Lymphoblastenleukämie mit großen Zellen
- Entspricht einer leukämischen Form des Burkitt-Lymphoms
- Gehäuft assoziiert mit der Aberration t(8;14)
WHO-Klassifikation der ALL (2016)[5]
Allgemeine Kriterien
Die WHO-Klassifikation versucht sowohl zyto- als auch molekulargenetische Faktoren zu beurteilen, spielt aber für die Prognose nur eine eingeschränkte Rolle. Generell gilt bei dieser Klassifikation, dass lymphoblastische Lymphome und lymphatische Leukämien gemeinsam klassifiziert werden und der Anteil der Blasten im Knochenmark darüber entscheidet, ob es sich um ein Lymphom (<25% Blastenanteil) oder um eine Leukämie (>25% Blastenanteil) handelt.
- Unterscheidung nach Reife
- Vorläufer-Zell-Neoplasien
- Reifzellige Neoplasien
- Unterscheidung in B-Zell- oder T-Zell-Neoplasien
- Gemeinsame Einordnung der ALL mit den B-Zell-Lymphomen
Klassifikationssystem
- Lymphatische Vorläufer-Zell-Neoplasien
- B-lymphoblastische Leukämien bzw. B-lymphoblastisches Lymphom
- T-lymphoblastische Leukämien bzw. T-lymphoblastisches Lymphom
- Frühe T-Cell-Precursor lymphoblastische Leukämie (provisorische Einordnung)
- Natürliche-Killer-(NK)-Zell lymphoblastische Leukämie bzw. lymphoblastisches Lymphom (provisorische Einordnung)
- Reifzellige Neoplasien
- Reifzellige „Burkitt“-B-ALL
Immuntypisierung der ALL
Anhand der Immuntypisierung der ALL kann die B- von der T-Zellreihe unterschieden werden. An vielen Zentren in Deutschland erfolgt diese Einteilung in Anlehnung an die GMALL(German-Multicenter-ALL)-Studien, woraus sich therapeutische und prognostische Konsequenzen ergeben (siehe auch: Tipps & Links). Die Immuntypisierung der ALL hat damit in der klinischen Praxis in Deutschland die größte Relevanz.[1][7][8]
- Erklärung
- Subtypen der ALL werden nach Immunphänotyp klassifiziert, hierzu werden Oberflächenantigene der Leukämiezellen untersucht[9]
- Häufig sind Subtypen mit spezifischen zytogenetischen bzw. molekulargenetischen Veränderungen assoziiert
- Einteilung
- B-Zellreihe
- Vorläufer-B-ALL
- Pro-B-ALL
- Common-B-ALL [10]
- Prä-B-ALL
- Reifzellige B-ALL
- Vorläufer-B-ALL
- T-Zellreihe
- Frühe T-ALL
- Intermediäre T-ALL
- Reife T-ALL
- B-Zellreihe
Klassifikation der AML
FAB-Klassifikation der AML
Die FAB-Klassifikation wurde im klinischen Alltag zunehmend durch die WHO-Klassifikation abgelöst.
- Definition: Einteilung der Zellen anhand von zytomorphologischen Charakteristika in acht Untergruppen (M0 bis M7)
- Kriterien
- Differenzierungsgrad der Zellen
- Morphologie der Zellen, inkl. Granulierung
- Vorhandensein von Auerstäbchen
- Expression der Myeloperoxidase oder der unspezifischen Esterase
- Vorhandensein von zytogenetischen Aberrationen
- Klinischer Stellenwert: Mittlerweile eher gering, FAB-Klassifikation wird zunehmend durch WHO-Klassifikation abgelöst[7][11][12]
FAB-Typ | Differenzierungsgrad | Morphologie und Granula | Auerstäbchen | Myeloperoxidase | Unspezifische Esterase |
---|---|---|---|---|---|
M0 | AML mit minimaler Differenzierung |
| – | – | |
M1 | AML ohne Ausreifung |
| +/– | + | |
M2 | AML mit Ausreifung |
| + | + | |
M3 | Akute Promyelozytenleukämie |
| ++ | + | |
M4 | Akute myelomonozytäre Leukämie |
| +/– | + | + |
M5 | Akute monozytäre Leukämie |
| – | – | + |
M6 | Akute Erythroleukämie |
| + | + | +/– |
M7 | Akute Megakaryoblasten-Leukämie |
| – | – | +/– |
WHO-Klassifikation der AML (2016)
- Definition: Einteilung der AML in Subtypen nach zytogenetischen und molekulargenetischen Charakteristika
- Kriterien
- Vorhandensein von spezifischen genetischen Aberrationen
- Zusammenhang zu myelodysplastischen Syndromen
- Erkrankung ist therapieinduziert
- Zusammenhang mit Trisomie 21
- Vorhandensein eines myeloischen Sarkoms
- Klinischer Stellenwert: Wird von der aktuellen Leitlinie empfohlen[11]
AML-Subtyp | Beschreibung |
---|---|
AML mit spezifischen genetischen Aberrationen | Bspw. Subtypen mit balancierten Translokationen |
AML in Zusammenhang mit MDS | Meist ältere Patienten, bei denen zuvor ein MDS diagnostiziert wurde oder rückblickend vermutet wird |
AML, therapieinduziert | Patient mit Z.n. Chemotherapie und/oder Radiatio |
AML in Zusammenhang mit Trisomie 21 | |
Myeloid sarcoma | |
AML, Not Otherwise Specified (NOS) | Hierzu gehören u.a. AML mit Ausreifung, AML ohne Ausreifung, AML mit minimaler Differenzierung |
AML unklarer Linie |
Symptome/Klinik
Allgemeine Symptome
- B-Symptomatik
- Leukämische Organinfiltration
- Viszerale Schmerzen durch Splenomegalie, Hepatomegalie
- Hodenschwellung [13]
- Hautinfiltrate
- Infiltration der Tränendrüsen sowie okulärer und retrobulbärer Strukturen → Ggf. Exophthalmus, Visuseinschränkung, Sicca-Syndrom
- Tumorlyse-Syndrom
Symptome bei ALL
- Meningeosis leucaemica
- Knochenbefall mit ossären Schmerzen → Kinder verweigern das Laufen und wollen getragen werden
- Indolente Lymphknotenschwellung (Lymphadenopathie)
- Thymusinfiltration → Ggf. Stridor und Atemnot
Symptome bei AML
- Leukostase-Syndrom:
- Meist ab Leukozytose >100.000/μL
- Akute Promyelozytenleukämie („APL“, Subtyp M3)
- Zunehmende Blutungsneigung durch:
- Akute myelomonozytäre Leukämie (Subtyp M4) und akute monozytäre Leukämie (M5):
- Akute Megakaryoblasten-Leukämie (Subtyp M7):
- Knochenmarkfibrose mit Panzytopenie
Symptome der gestörten Hämatopoese
- Symptome der Leukozytopenie
- Infektanfälligkeit: Vermehrt bakterielle und mykotische Infekte (z.B. Mundsoor bei Candida-albicans-Befall)
- Fieber
- Grippeähnliche Symptome
- Symptome der Anämie
- Schwäche, chronische Müdigkeit
- Blässe
- Belastungsdyspnoe
- Symptome der Thrombozytopenie:
- Petechiale Spontanblutungen und Hämatome
- Nasenbluten, Zahnfleischbluten, Menorrhagien
Vergleich Symptome ALL und AML[1][3][13][14]
Symptome | ALL | AML |
---|---|---|
Lymphknotenschwellung | ++ | (+) |
Hepatosplenomegalie | ++ | (+) |
Hodenschwellung | + | – |
Knochenschmerzen | + | – |
Leukostase | – | + |
Meningeosis leucaemica | + | (+) [3][14] |
Diagnostik
Klinische Untersuchung [1][3][15][16]
- Anamnese und körperlicher Untersuchungsbefund
- Lymphknotenvergrößerung
- Splenomegalie, Hepatomegalie
- Neurologische Ausfälle bzw. Hinweise auf ZNS-Beteiligung: Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie, Nackensteifigkeit, Hirnnervenausfälle[16]
- Hämatome, Petechien, erhöhte Blutungsneigung
- Allgemeinzustand und Komorbiditäten: Für die Therapieplanung entscheidend
Blutuntersuchung
- Blutbild und Differentialblutbild
- Leukozyten: Normale Zellzahl, Leukozytose oder Leukozytopenie → Kein sensitiver Marker für eine akute Leukämie
- Thrombozytopenie
- Anämie
- Durchflusszytometrie: Zur Immuntypisierung, i.d.R. als sog. FACS-Untersuchung
- Gerinnungsdiagnostik: Hinweise auf Gerinnungsstörungen
- Erhöhter Zellzerfall: LDH↑ und Harnsäure↑
- Blutausstrich
- Nachweis unreifer Zellen (Blasten)
- Hiatus leucaemicus
- Definition: Vorkommen von unreifen Blasten sowie reifen Zellstufen im Blutbild, jedoch Fehlen der mittelreifen Formen der Granulopoese
- Ursache: Ausschwemmung von unreifen, klonalen Leukozyten (sog. Blasten), die myeloischen (AML) oder lymphatischen Ursprungs (ALL) sein können
- Typisch für die AML: Auer-Stäbchen
- Leber und Niere
- Transaminasen, GGT, AP, Bilirubin und INR zur orientierenden Beurteilung aller Leberteilfunktionen
- Hepatitis-Serologie für Hepatitis B und C
- Retentionswerte (Kreatinin, Harnstoff)
- Urindiagnostik
Die Leukozytenzahlen sind kein sicheres Diagnosekriterium! Wegweisender Befund sind unreife Zellen (Blasten) im Blutausstrich!
Knochenmarksuntersuchung
Diagnosesicherung durch die Knochenmarkzytologie und -histologie
- Histopathologischer Befund
- Hyperzelluläres Knochenmark, monomorphes Zellbild mit überwiegend Blasten
- ALL: > 25% Blasten
- AML: > 20% Blasten
- Bei symptomatischen Patienten mit unauffälligem Blutbild, aber Blasten im Knochenmark, spricht man von einem aleukämischen Verlauf
- Hyperzelluläres Knochenmark, monomorphes Zellbild mit überwiegend Blasten
- Morphologie und Zytochemie
- Immunphänotypisierung: Zum Nachweis spezieller Oberflächenproteine, bspw. CD-20 Expression
- Zytogenetik und Molekulargenetik
Liquordiagnostik[2]
- Verfahren: Lumbalpunktion mit Liquordiagnostik
- Ziel: Nachweis von Blasten als Zeichen eines ZNS-Befalls
- Indikation: Standarddiagnostik bei ALL; bei AML nur, wenn ZNS-Symptomatik vorliegt
- Befunde
Bildgebung
- Röntgen-Thorax: Mediastinalverbreiterung bei Thymusinfiltration, fleckige Verschattungen bei Leukostase
- Sonographie-Abdomen: Hepatosplenomegalie und vergrößerte Lymphknoten
Therapie
Allgemeine Therapieüberlegungen [1][3][5][17][18]
- Ziel: Komplette Remission (engl. Complete Remission = CR)
- Zeitpunkt: Unmittelbarer Beginn der Therapie
- Grundlegendes Therapieschema
- Induktionstherapie (Erreichen der kompletten Remission)
- Postremissionstherapie (Erhalt der Remission)
- Konsolidierungstherapie (Chemotherapie oder Stammzelltransplantation)
- Ggf. Re-Induktionstherapie
- Erhaltungstherapie
- Therapieoptionen
- Chemotherapeutika: Abhängig vom Leukämietyp, individuellem Risikoprofil, diagnostizierten genetischen Veränderungen, Alter, Allgemeinzustand und Wille des Patienten
- Stammzelltransplantation: Indiziert bei Hochrisikopatienten nach der 1. Remission durch Induktionstherapie, siehe auch: Stammzelltransplantation
- Bestrahlung: Zur Prophylaxe eines ZNS-Rezidivs bei ALL
- Dauer
- Induktion bzw. Re-Induktion: Meist 4–6 Wochen
- Erhaltungstherapie: Monate bis Jahre
- Therapiestudien: Therapie in spezialisierten hämatoonkologischen Zentren nach Therapieprotokollen und innerhalb von Studiengruppen des deutschen Leukämie-Studienregisters [7]
Supportive Therapie
- Siehe hierzu: Supportive Therapie bei onkologischen Erkrankungen
Therapie der ALL
Induktionstherapie [1][19][20]
Ziel der Induktionstherapie ist die komplette Remission (CR) mit einer schnellen Reduzierung und Normalisierung der Blastenzahl. Das Erreichen einer kompletten Remission hat eine hohe prognostische Bedeutung.
Ablauf
Zur Induktionstherapie zählen die Vorphasetherapie, die Induktionstherapie I und die Induktionstherapie II. Die gesamten Induktionstherapie dauert etwa 6–7 Wochen.
- Vorphase-Therapie: Dexamethason und Cyclophosphamid
- Zytostatika der Induktionstherapie I
- Vincristin
- Anthrazyklin-Derivat (z.B. Daunorubicin)
- Asparaginase
- Dexamethason
- Zytostatika der Induktionstherapie II: Zusätzliche Gabe von Cyclophosphamid, Cytarabin (Ara-C, Cytosinarabinosid), 6-Mercaptopurin, Methotrexat
- Parallel zur Induktionstherapie II: Prophylaktische Schädelbestrahlung und intrathekale MTX-Gabe
Sonderformen
- Reife B-ALL: Kombination der Therapie mit dem CD20-Antikörper Rituximab
- Bei Philadelphia-Translokation: Imatinib
Post-Remissionstherapie
Konsolidierungstherapie
- Ziel: Remissionserhaltung
- Ablauf: Wiederholte Gabe und/oder Kombinationstherapie der Chemotherapeutika in hoher Dosierung oder alternativ Stammzelltransplantation
- Zytostatika
- Methotrexat
- Cytarabin
- Asparaginase
- Ggf. Reinduktionstherapie
- Stammzelltransplantation: Bspw. bei Hochrisikopatienten in erster Remission[18]
- Hochrisikopatienten: Stammzelltransplantation nach der ersten Konsolidierungstherapie
- Standardrisikopatienten: Zyklische Chemotherapie mit den oben aufgeführten Medikamenten
Erhaltungstherapie
- Ziel: Sicherung der kompletten Remission bei Patienten ohne Stammzelltransplantation
- Ablauf: Einsatz der Chemotherapeutika in geringerer Dosierung
- Zytostatika: Bspw. Methotrexat und 6-Mercaptopurin
ZNS-Prophylaxe und Therapie[1] [2]
- Indikation: Fester Bestandteil der Therapie der ALL
- Zeitpunkt: Meist parallel zum Beginn der Induktionstherapie
- Bei initialem ZNS-Befall: Aggressivere Therapie mit hochdosierter und hochfrequenter Induktionsphase bis zur Elimination von Blasten, danach 1-2 weitere Gaben zur Konsolidierung
- Möglichkeiten
- Chemotherapie entweder nur mit Methotrexat oder in Kombination mit Cytarabin und ggf. einem Steroid
- Schädelbestrahlung (24 Gy): Bei bereits initial manifester Meningeosis leucaemica
- Ablauf: Keine standardisierten Protokolle, oft Kombination aller Modalitäten
Grundsätzlich keine Schädelbestrahlung bei Kindern im 1. Lebensjahr!
Therapie der AML
Induktionstherapie [17][21][22]
- Therapieschemata mit Cytarabin sowie Anthrazyklinen
- Spezielle Therapieoptionen bei APL (siehe unten)
- Ältere Patienten mit kritischen Vorerkrankungen und/oder ungünstiger Prognose
- Ziel: Lebensverlängerung bei möglichst hoher Lebensqualität
- Best Supportive Care
- Zytoreduktive ambulante Chemotherapie mit Hydroxyurea und 5-Azacitidin oder Decitabin empfohlen
- Alternativ: Niedrigdosiertes Cytarabin
Post-Remissionstherapie
Konsolidierungstherapie
- Ziel: Remissionserhaltung
- Optionen: Medikamentös oder via Stammzelltransplantation
- Ablauf: Je nach Risikoprofil
- Niedriges Risiko: Mehrere Zyklen Cytarabin
- Hohes/intermediäres Risiko: Allogene Stammzelltransplantation
- Ggf. „Targeted Therapies“: Bei Nachweis spezieller genetischer Defekte
Erhaltungstherapie
- Ziel: Sicherung der kompletten Remission bei Patienten ohne Stammzelltransplantation
- Ablauf: Einsatz der Chemotherapeutika in geringerer Dosierung
- Zytostatika: Cytarabin
Sonderform: APL (Akute Promyelozyten Leukämie)
- Therapieoptionen: Induktion mittels Kombinationstherapie aus ATRA + ATO oder ATRA + Chemotherapie
- Medikamente
- All-trans-Retinsäure
- Synonyme: ATRA, Tretinoin
- Indikation: Bei Patienten mit entsprechendem genetischen Defekt, meist Translokation t(15;17)
- Wirkungsweise: Ausdifferenzierung der Promyelozytenvorstufen
- Kombination mit ATO oder Zytostatikum
- Arsentrioxid
- All-trans-Retinsäure
- Komplikationen der Therapie: APL-Differenzierungssyndrom[21][22]
- Symptome: Dyspnoe, Fieber unklarer Genese, Ödeme/Gewichtszunahme, Lungeninfiltrate ohne Hinweis auf eine Infektion, Pleura- oder Perikarderguss
- Therapie: Glucocorticoide (z.B. Dexamethason)
Durch sehr hohe Remissionsraten gilt APL heutzutage als günstigste Unterform aller akuten Leukämien bei Erwachsenen!
Komplikationen
Tumorlyse-Syndrom [23][24]
Erkrankungen mit erhöhtem Risiko
- Hämatologischen Neoplasien: Burkitt-Lymphom, AML, ALL, CLL
- Seltener bei soliden Tumoren mit großer Zellmasse bzw. schnellem Zellwachstum: z.B. SCLC
- Hämatologische Neoplasien mit hoher LDH-Konzentration oder Patienten mit vorbestehender Nierenfunktionseinschränkung
Pathophysiologie
- Rascher und massiver Tumorzellzerfall
- Massive Freisetzung von Elektrolyten und Zellbestandteilen
- Ausbildung von Calciumphosphat- und Harnsäurekristallen in der Niere
Klassifikation nach Cairo-Bishop
- Labortechnisches Tumorlysesyndrom: Rein Labortechnisch nachgewiesene Elektrolytstörung
- Elektrolytstörung: Harnsäure > 8 mg/dl oder > 25 % Anstieg gegenüber dem Wert vor Tx-Beginn, K+ > 6 mmol/l oder > 25 % Anstieg, Phosphat > 1,45 mmol/l oder > 25 % Anstieg, Ca2+ < 1,75 mmol/l oder > 25 % Abfall.
- Beginn: Innerhalb von 3 Tagen nach Beginn der Chemotherapie bis 7 Tage nach Ende der Chemotherapie
- Klinisches Tumorlysesyndrom: Labortechnisch nachgewiesenes Tumorlysesyndrom mit klinischen Symptomen, plus
- Kreatinin >1,5x obere Normgrenze als Marker für die sich verschlechternde Nierenfunktion
- Oder Herzrhythmusstörungen bzw. plötzlicher Herztod
- Oder Epileptischer Anfall
Diagnostik
- Hyperphosphatämie und sekundäre Hypokalzämie
- Hyperkaliämie
- Hyperurikämie mit akuter Uratnephropathie
Klinik
- Uratnephropathie mit Gefahr des akuten Nierenversagens
- Herzrhythmusstörungen
- Epileptische Anfälle
Prophylaxe [25]
- Grundsätzlich
- Hydrierung
- Verzicht auf nierenschädigende Medikamente
- Verzicht auf Medikamente die den Kalium-, Phosphat oder Harnsäurespiegel erhöhen
- Vermeiden einer Hypercalciurie, insb. Verzicht auf Thiaziddiuretika
- Medikamentös
- Gabe von Allopurinol
- oder Rasburicase i.v.
- Vorphase-Therapie bei Erkrankungen mit hohem Risiko, bspw. AML
Kein gleichzeitiger Einsatz von Rasburicase und Allopurinol!
Therapie [25]
- Grundsätzlich
- Hydrierung
- Ggf. frühe Indikationsstellung zur Dialyse
- Medikamentöse Therapie
- Hyperurikämie: Gabe von Rasburicase i.v.
- Hyperkaliämie: Natriumbikarbonat, Kationenaustauscherharzen, Schleifendiuretika oder Glucose plus Insulin. Siehe „Therapie der Hyperkaliämie“
- Hyperphosphatämie: Orale Phosphatbinder
- Hypokalzämie: Keine Therapie
- Alkalisierung des Harns wird kontrovers diskutiert
Leukostase-Syndrom
- Pathophysiologie: Infolge einer deutlichen Hyperleukozytose kommt es zur Adhäsion von Leukozyten an der Gefäßwand, wodurch sich die Fließeigenschaften des Blutes verschlechtern und Mikrozirkulationsstörungen auftreten. Das Leukostase-Syndrom ist ein hämatologischer Notfall und muss umgehend behandelt werden.
- Hyperleukozytose = Leukozytenzahl >100.000/μL
- Manifestationsorte: Insb. Kapillaren in Gehirn und Lunge
- Klinik
- Hypoxie
- Neurologische Ausfälle
- Retinaeinblutungen, intrazerebrale Blutungen
- Thrombosen bis hin zum Multiorganversagen
- Priapismus
- Therapie: Systemische Chemotherapie und ggf. Leukapherese
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
5-Jahres-Überlebensrate
- ALL: Die 5-Jahres-Überlebensrate der behandelten ALL variiert nach Patientenalter und liegt zwischen 20% (bei älteren Patienten) und ca. 80% (bei Kindern und Jugendlichen)
-
Positive prognostische Faktoren
- Alter: 2–10 Jahre
- Leukozytenzahl: <30.000/μL
- Kein ZNS-Befall
-
Positive prognostische Faktoren
- AML: Die 5-Jahres-Überlebensrate der behandelten AML ist insb. von Patientenalter und den vorhandenen zytogenetischen Veränderungen abhängig und variiert je nach Alters- und Risikogruppenzuordnung zwischen 10–60%
Negative prognostische Faktoren
ALL | AML | |
---|---|---|
Alter |
|
|
Leukozytenzahl |
|
|
Immuntypisierung |
|
|
Verlauf |
|
|
Befallsmuster |
|
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 32-2018-3/3: Zusammenhang zwischen Beziehungsstatus und Überleben nach AML-Therapie
- Studientelegramm 16-2018-3/3: CAR-T-Zellen bestätigen ihr Potential in der Therapie der ALL bei Kindern und jungen Erwachsenen
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- C91.-: Lymphatische Leukämie
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie C91 zu benutzen:
- 0:
- Ohne Angabe einer kompletten Remission
- Ohne Angabe einer Remission
- In partieller Remission
- 1: In kompletter Remission
- 0:
- C91.0-: Akute lymphatische Leukämie [ALL]
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie C91 zu benutzen:
- C92.-: Myeloische Leukämie
- Inklusive:
-
Leukämie:
- granulozytär
- myelogen
-
Leukämie:
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie C92 zu benutzen:
- 0:
- Ohne Angabe einer kompletten Remission
- Ohne Angabe einer Remission
- In partieller Remission
- 1: In kompletter Remission
- 0:
- C92.0-: Akute myeloblastische Leukämie [AML]
- Akute myeloische Leukämie, minimal differenziert
- Akute myeloische Leukämie (mit Ausreifung)
- AML1/ETO
- AML M0
- AML M1
- AML M2
- AML mit t(8;21)
- AML (ohne eine FAB-Klassifizierung) o.n.A. Refraktäre Anämie mit Blastenkrise in Transformation
- Exklusive: Akute Exazerbation einer chronischen myeloischen Leukämie (C92.1‑)
- C92.4-: Akute Promyelozyten-Leukämie [PCL]
- AML M3
- AML mit t(15;17) und Varianten
- C92.5-: Akute myelomonozytäre Leukämie
- AML M4
- AML M4 Eo mit inv(16) oder t(16;16)
- C92.6-: Akute myeloische Leukämie mit 11q23-Abnormität
- C92.8-: Akute myeloische Leukämie mit multilineärer Dysplasie
- Inklusive:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.