Abstract
Die Epiglottitis ist eine akute, meist fulminant verlaufende Entzündung der Epiglottis, die in der Vergangenheit meist durch Haemophilus influenzae Typ b (Hib) ausgelöst wurde. Seit Einführung der Schutzimpfung gegen Hib ist dieses Krankheitsbild seltener geworden und wird meist durch andere Bakterien ausgelöst. Die Epiglottitis hatte früher ihren Altersgipfel im Kindesalter. Sie kann aber in jedem Alter auftreten und betrifft inzwischen vorwiegend Senioren, Ungeimpfte und Impfversager (gegen Hib). Typisch bei Kindern ist ein plötzlicher Krankheitsbeginn mit hohem Fieber, Halsschmerzen, kloßiger Sprache, Speichelfluss und inspiratorischem Stridor, Einziehungen und Zyanose. Kinder nehmen charakteristischerweise eine sitzende Körperhaltung zur Erweiterung der Luftwege ein. Bei Erwachsenen sind Dysphagie, Schluckschmerzen und eine veränderte Stimme typische Zeichen. Aufgrund der akuten Erstickungsgefahr ist bereits bei Krankheitsverdacht eine ärztlich begleitete Einweisung ins Krankenhaus indiziert. Die Diagnosestellung erfolgt anhand der Klinik. Eine Inspektion des Rachens sollte nur in Intubationsbereitschaft erfolgen. Stationäres Monitoring und eine intravenöse Antibiotikatherapie sowie systemische Glucocorticoide und Adrenalin inhalativ sind immer indiziert. In schweren Fällen ist eine Intubation notwendig. Bei adäquater Therapie hat die akute Epiglottitis eine gute Prognose.
Epidemiologie
- Inzidenz [1] [2]
- Kinder: 0,2 pro 100.000 pro Jahr
- Erwachsene: 1,9–3,1 pro 100.000 pro Jahr [3]
- Auftreten
- Ehemaliger Altersgipfel 2–7 Jahre
- Seit Einführung der Hib-Schutzimpfung hauptsächlich bei Senioren, Ungeimpften und Impfversagern
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger
- Früher: (Fast) immer Haemophilus influenzae Typ b
- Bei Haemophilus influenzae sind 6 bekapselte (a–f) und min. 50 unbekapselte Typen bekannt
- Invasive Infektionen (Meningitis, Sepsis, Epiglottitis, Arthritis, Osteomyelitis, Phlegmone) meist durch Typ b ausgelöst
- Bekapselte Non-b-Typen lösen meist Infektionen bei Immunsupprimierten aus
- Unbekapselte Typen verursachen häufig
- Otitis media, Sinusitis, Pneumonie, Konjunktivitis
- Invasive Infektionen im Neugeborenenalter
- COPD-Exazerbation und Sepsis im Erwachsenenalter
- Aktuell
- Kinder: (Fast) immer Haemophilus influenzae Typ b bei Ungeimpften oder Impfversagern
- Erwachsene: β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Pneumokokken, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae
- Früher: (Fast) immer Haemophilus influenzae Typ b
- Infektionsweg
- Tröpfcheninfektion
- Direkter Kontakt von Mensch zu Mensch
- Risikofaktoren
- Fehlende Hib-Impfung
- Immunsuppression
- Hohes Alter
- Kontagiosität: Bis 24 Stunden nach Beginn einer Antibiotikatherapie
Pathophysiologie
- Bakterielle Infektion (direkt über die Schleimhaut oder hämatogen) von Epiglottisgewebe und supraglottischen Strukturen → Zunehmende epi- und supraglottische Entzündung und Ödem → Verengung oder Verschluss der Atemwege
Symptome/Klinik
- Inkubationszeit: Wenige Tage
- Hochakut, fulminant verlaufendes Krankheitsbild mit Symptommanifestation binnen weniger Stunden
- Klinik bei Kindern
- Plötzliches, hohes Fieber
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Hals- und Schluckschmerzen, Dysphagie, kloßige (oft schmerzhafte) Sprache, erhöhter Speichelfluss
- Atemnot mit inspiratorischem Stridor , Einziehungen und Zyanose
- I.d.R. kein Husten
- Typische Körperhaltung: Sitzend, nach vorn gebeugt mit nach hinten geneigtem Kopf zur Erweiterung der Atemwege
- Angst und Unruhe
- Klinik bei Erwachsenen
- Häufig vorhandene Grunderkrankung
- Hals- und Schluckschmerzen
- Dysphagie (Schluckbeschwerden)
- Veränderte Stimme
- Nur in max. 50% der Fälle: Speichelfluss, kloßige Sprache, Atemnot mit Stridor, Fieber, AZ-Verschlechterung, Lymphadenopathie, Angst und Unruhe
- I.d.R. kein Husten
- I.d.R. keine typische Körperhaltung
- Klinik bei Kindern
Als Leitsymptome der Epiglottitis kann man sich die „5S“ merken: Stridor, Sabbern, Sprache (kloßig), Schluckbeschwerden, schnorchelnde Atmung.
Diagnostik
- Die Epiglottitis ist eine primär klinische Diagnose!
- Anamnese: Hib-Impfung? , Essen/Trinken?
- Maßnahmen vor Diagnostik
- Patienten nicht hinlegen, unbedingt sitzen lassen , Kinder am besten auf dem Schoß der Bezugsperson
- Keine Spatelinspektion!
- Intensivmonitoring
- Sicherstellen einer suffizienten Atmung
- Pulsoxymetrie und Monitoring unter Sauerstoffvorlage
- Bei Ateminsuffizienz
- Sicherung der Atemwege
- Invasive diagnostische Maßnahmen (i.v. Zugang, Laryngoskopie, Labor, LP) in Gasnarkose
- Untersuchung
- Larynxinspektion, ggf. mit Mundspatel nach Sicherung der Atemwege: Typischerweise kirschrote, ödematöse Epiglottis
- Alternativ: Flexible fiberoptische Nasolaryngoskopie oder indirekte Laryngoskopie nur in Intubationsbereitschaft oder nach Sicherung der Atemwege
- Basislabor (Leukozytose, CRP↑, BSG↑), Blutkultur, BGA
- Lumbalpunktion bei klinischem Verdacht auf Begleitmeningitis
- Hib-Antigennachweis in Urin (und ggf. Liquor)
- Abstrich von der Epiglottis mit Anlegen einer bakteriologischen Kultur
- Im angloamerikanischen Raum wird ein laterales cervicales Röntgenbild zum Ausschluss anderer Diagnosen bei stabilen Patienten regelhaft durchgeführt.
Insb. bei Kindern sollte jede Stresssituation oder Manipulation vermieden werden, da Ersticken durch Verschluss der Atemwege droht! Bereits im Verdachtsfall sollte man einen ärztlich begleiteten Transport im Sitzen ins Krankenhaus veranlassen!
Bei Erwachsenen kann in Abhängigkeit von Stenose und Compliance des Patienten auch ohne Sicherung der Atemwege eine weiterführende Untersuchung erfolgen. Eine Manipulation im Rachenraum sollte aber auch hier nur in Intubations- bzw. Koniotomiebereitschaft vorgenommen werden.
Differenzialdiagnosen
- Stenosierende Laryngotracheitis (Pseudokrupp)
- Bakterielle Tracheitis
- Peritonsillar- oder Retropharyngealabszess
- Fremdkörperaspiration
- Diphtherie
- Anaphylaktische Reaktion
- Verätzung oder thermische Verbrühung im Rachenbereich
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
- Immer stationäre, intensivmedizinische Behandlung!
- Patient bzw. Kind und Eltern beruhigen
- Wenn respiratorisch stabil (SpO2 >92% ohne Stridor oder Tachydyspnoe)
- Patient aufrecht lagern (Kinder gern auf dem Schoß der Bezugsperson)
- Möglichst wenig Manipulation am Kind
- Medikamentöse Therapie
- Unter Pulsoxymetrie Therapiewirkung abwarten
- Bei Dyspnoe
- Sofort Sauerstoffvorlage
-
Frühzeitige Intubation bei Dyspnoe
- Sedierung mit volatilem Inhalationsanästhetikum zum Legen des i.v. Zugangs, anschließend Sedierung mit Thiopental oder Propofol
- Zur Optimierung der Intubationsbedingungen und Vermeidung von Stimmlippenschäden ggf. Muskelrelaxantien wie Succinylcholin oder Atracurium
- Intubation orotracheal, ggf. mit Säuglingstubus
- CPAP oder Beatmung
- Bei Unmöglichkeit der Intubation: Koniotomie oder Tracheotomie (ggf. schon präklinisch)
- Bei Kindern: Gute Fixierung und Analgosedierung (zur Vermeidung akzidenteller Extubation)
- Extubation frühestens 2–3 Tage nach Beginn der antibiotischen Therapie
- Intravenöse Flüssigkeitssubstitution
Medikamentöse Therapie
- Intravenöse antibiotische Therapie [4]
- Cefotaxim oder Ceftriaxon
- Alternativpräparate: Ampicillin/Sulbactam oder Amoxicillin/Clavulansäure
- Bei Penicillinallergie: Levofloxacin oder Moxifloxacin
- Ggf. Umstellung der antibiotischen Therapie nach Erregernachweis
- Bei Hib ohne β-Lactamase: Ampicillin nach Extubation Amoxicillin p.o. über 5 Tage
- Bei β-Lactamase-Bildern: Cefotaxim über 10 Tage i.v., Ceftriaxon erwägen
- Bei Verdacht auf MRSA: Zusätzlich Clindamycin i.v.
- Hochdosierte intravenöse Glucocorticoidtherapie z.B. mit Prednisolon
- Kinder <15 kg
- Kinder 15–30 kg
- Kinder 30–60 kg
- Kinder und Jugendliche >60 kg
- Zum Abschwellen der Schleimhaut, kurzfristige wiederholte Gabe möglich, Therapie über mind. 2 Tage
- Adrenalin-Inhalation
- Altersunabhängige Standarddosierung von Epinephrin zur Vernebelung
- Altersunabhängige Standarddosierung fertige Verneblerlösung
Komplikationen
- Atemwegsverschluss und Erstickungstod
- Insb. bei immunsupprimierten Patienten
- Epiglottischer Abszess (24 %)
- Deszendierende nekrotisierende Mediastinitis
- Atelektasen
- Pneumonie
- Lungenödem nach Intubation
- ARDS (acute respiratory distress syndrome)
- Sepsis mit DIC (disseminierter intravasaler Koagulopathie)
- Meningitis
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Letalität: ca. 1 % (ohne Intensivbehandlung ca. 5–12 %)
Prävention
Haemophilus-influenzae-Typ-b-Impfung [5]
-
Die STIKO empfiehlt die Hib-Impfung für alle Kinder (bis 4 Jahre) als Standardimpfung
- Grundimmunisierung: Ab dem Alter von 2 Monaten
- Siehe auch: STIKO-Impfkalender
- Impfstoff (siehe auch: Hib-Impfstoffe): Totimpfstoff (Spaltimpfstoff)
- Bei Standardimpfung: Bevorzugt Einsatz von Kombinationsimpfstoffen (Sechsfach-Impfstoff )
- Bei Indikationsimpfung: Monovalenter Impfstoff (z.B. Act-Hib®)
- Siehe auch: Haemophilus-influenzae-Typ-b-Impfstoffe
- Grundimmunisierung: Innerhalb des 1. Lebensjahres
- 3 Impfdosen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten
- Indikationsimpfung
Postexpositionsprophylaxe bei invasiver Hib-Infektion[6]
- Indikation: Eine Chemoprophylaxe ist indiziert nach engem Kontakt zu Patienten mit invasiver Hib-Infektion
- Die Chemoprophylaxe sollte innerhalb von 7 Tagen nach Symptombeginn des Indexpatienten erfolgen
- Für alle ungeimpften exponierten Kinder ≤4 Jahre
- Für alle Haushaltsmitglieder des Indexpatienten, wenn sich folgende Personen im Haushalt befinden
- Kinder ≤4 Jahre ohne vollständige Grundimmunisierung
- Immunsupprimierte Personen
- Für alle Kinder und Betreuungspersonen in Gemeinschaftseinrichtungen für Kleinkinder
- Bei ≥2 Hib-Erkrankungsfällen innerhalb von 2 Monaten, wenn nicht (oder nicht ausreichend) geimpfte Kinder betreut werden
- Die Chemoprophylaxe sollte innerhalb von 7 Tagen nach Symptombeginn des Indexpatienten erfolgen
- Medikamente
- Rifampicin: Für alle Personen, ausgenommen Schwangere!
- Neugeborene [7]:
- Kinder 1 Mon.–12 J.
- Kinder >12 J. und Jugendliche
- Ceftriaxon: Schwangere erhalten immer Ceftriaxon, Rifampicin ist in der Schwangerschaft kontraindiziert!
- Rifampicin: Für alle Personen, ausgenommen Schwangere!
Meldepflicht
Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für die akute Epiglottitis. Es gibt jedoch eine Labormeldepflicht bei Nachweis von Haemophilus influenzae b.
- Labormeldepflicht nach § 7 IfSG
- Namentliche Meldepflicht nur bei direktem Nachweis von Haemophilus influenzae aus Liquor oder Blut
- Meldepflicht für Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen § 33 und § 34 IfSG
- Namentliche Meldepflicht nur bei Verdachts- und Krankheitsfällen von Hib-Meningitis, nicht bei Epiglottitis (§ 34 (1) IfSG)
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Epiglottitis
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- J05.-: Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und Epiglottitis
- J05.0: Akute obstruktive Laryngitis [Krupp]
- Obstruktive Laryngitis o.n.A.
- J05.1: Akute Epiglottitis
- Epiglottitis o.n.A.
- J05.0: Akute obstruktive Laryngitis [Krupp]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.