Zusammenfassung
Eine Myokarditis ist eine isolierte Entzündung des Herzmuskels. Sie wird im Kindes- und Jugendalter meist durch eine Virusinfektion verursacht und kann klinisch sehr variabel verlaufen. Neben unspezifischen Infektionszeichen kann es u.a. zu Thoraxschmerzen, Palpitationen und einer akuten Herzinsuffizienz kommen. Eine Myokarditis kann mit EKG-Veränderungen, echokardiografischen Auffälligkeiten und erhöhten kardialen Nekrosemarkern einhergehen. Eine Kardio-MRT ermöglicht eine anatomische und funktionelle Beurteilung des Herzmuskels, bei therapierefraktärem Verlauf ist zur sicheren Bestätigung der Diagnose und zum Nachweis der zugrunde liegenden Ursache allerdings eine Endomyokardbiopsie notwendig.
In den meisten Fällen heilt eine Myokarditis innerhalb weniger Wochen folgenlos aus und erfordert außer körperlicher Schonung keine spezifische Therapie. Bei beeinträchtigter linksventrikulärer Pumpfunktion ist neben einer medikamentösen Therapie der Herzinsuffizienz die Gabe von intravenösen Immunglobulinen zur Immunmodulation indiziert. Aufgrund des erhöhten Risikos für einen plötzlichen Herztod sollten betroffene Kinder und Jugendliche darüber hinaus i.d.R. für mind. 3–6 Monate auf sportliche Aktivitäten verzichten.
Definition
- Myokarditis: Isolierte Entzündung des Herzmuskels
- Perimyokarditis: Primäre Entzündung des Herzmuskels mit Beteiligung der angrenzenden Schichten des Herzbeutels
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 1–2 Fälle / 100.000 Kinder pro Jahr
- Typische Altersgruppen: Kleinkinder, Jugendliche
- Geschlechterverteilung
Vermutlich ist das Myokard bei bis zu 5% aller Virusinfektionen asymptomatisch beteiligt! [3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Infektionen
- Viren (häufig)
- Bakterien (selten)
- Protozoen (sehr selten)
- Pilze (sehr selten, v.a. bei Immunsuppression)
Virusinfektionen sind die häufigste Ursache einer Myokarditis im Kindes- und Jugendalter!
Weitere Ursachen
- Immunologische Erkrankungen
- Arzneimittel
Pathophysiologie
- Bei viraler Myokarditis : Schädigung der Kardiomyozyten in 3 Phasen (siehe auch: Pathophysiologie der Myokarditis)
- Virusaufnahme und -replikation → Direkte Zytolyse → Unspezifische Immunreaktionen
- Spezifische Immunreaktionen → Zerstörung infizierter Zellen
- Ggf. chronische Entzündungsprozesse → Autoimmunreaktionen → Kardiales Remodelling (fibrotischer Umbau)
Symptomatik
Allgemein
- Verlauf
- Häufig asymptomatisch oder mild
- Selten schwer und fulminant
Klinisches Bild
- Kardiale Symptome
- Thoraxschmerzen, Herzrhythmusstörungen/Palpitationen (insb. bei Jugendlichen ≥13 Jahre)
- Zeichen einer akuten Herzinsuffizienz (insb. bei Kindern <2 Jahre)
- Unspezifische Infektionszeichen (insb. bei Kindern <2 Jahre)
Insb. bei ungeklärter Herzinsuffizienz und/oder neu aufgetretenen Herzrhythmusstörungen sollte an eine Myokarditis gedacht werden!
Insb. bei Kindern <2 Jahre können schwere und fulminante Krankheitsverläufe mit akuter Herzinsuffizienz auftreten!
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Anamnese
- Körperliche Untersuchung
- Vitalparameter
- Körpertemperatur
- Herzfrequenz, Blutdruck
- Atemfrequenz, spO2
- Labordiagnostik
- Apparative Diagnostik
Typische Befunde bei Myokarditis im Kindes- und Jugendalter [2][5] | ||
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Untersuchung | Typische Befunde | |
Labordiagnostik | ||
EKG |
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Echokardiografie |
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Röntgen-Thorax |
|
Eine Myokarditis führt in >90% der Fälle zu EKG-Auffälligkeiten!
Unauffällige kardiale Nekrosemarker und Entzündungsparameter schließen eine Myokarditis nicht sicher aus!
Erweiterte Diagnostik
Kardio-MRT
- Indikation: Klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz oder andere Hinweise auf eine Myokarditis
- Typische Befunde
- Regionale oder globale Signalanhebung
- Auffällige Gadoliniumanreicherung
- Beurteilung: Siehe Lake-Louise-Kriterien
Durch eine Kardio-MRT lässt sich die Diagnose einer akuten Myokarditis häufig sichern, nicht jedoch ihre Ätiologie!
Endomyokardbiopsie (EMB)
- Indikation: Therapieresistente Herzinsuffizienz über 2 Wochen
- Typische Befunde
- (Immun‑)Histologie: Entzündliches Infiltrat, nicht-ischämische Myozytolyse
- PCR/In-situ-Hybridisierung: Direkter Erregernachweis
- Beurteilung: Siehe Dallas-Kriterien
Die Ursache einer Myokarditis kann nur durch eine Endomyokardbiopsie sicher nachgewiesen werden!
Erweiterte Labordiagnostik
- Antikörperdiagnostik
- Indikation: V.a. immunologische Erkrankungen
- Antikörper
- Antinukleäre AK (ANA), Antimitochondriale AK (AMA)
- Anti-dsDNA-AK, Anti-Sm-AK, Anti-U1-RNP-AK
- Anti-SSA(Ro)-AK, Anti-SSB(La)-AK
- Antimyolemmale AK (AMLA), Antisarkolemmale AK (ASLA)
- Gendiagnostik
- Indikation: Myokarditis mit dem Phänotyp einer dilatativen Kardiomyopathie
- Untersuchung: I.d.R. Next Generation Sequencing
- Häufiger Befund: Nachweis von Mutationen in Kardiomyopathiegenen
Differenzialdiagnosen
- Bei kardialen Symptomen
- Bei echokardiografischen Auffälligkeiten
- Linksventrikuläre Dilatation: Dilatative Kardiomyopathie
- Verdickte Ventrikelwand: Hypertrophe Kardiomyopathie, Speicherkrankheiten
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
- Bei normaler kardialer Funktion: Ggf. ambulante Behandlung
- Bei Herzinsuffizienz
- Stationäre Aufnahme mit kontinuierlichem Monitoring der Vitalparameter
- Initial konsequente Bettruhe, anschließend körperliche Schonung für mind. 3–6 Monate
Symptomatische Therapie
- Herzinsuffizienztherapie
- Indikationen
- Reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion
- Klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz
- Wirkstoffe: ACE-Hemmer, Betablocker, Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten
- Ggf. Diuretika
- Ggf. Inotropika
- Indikationen
- Antiarrhythmische Therapie
- Indikation: Klinisch relevante bradykarde Herzrhythmusstörung oder tachykarde Herzrhythmusstörung
- Wirkstoffe: Antiarrhythmika (je nach vorliegender Störung)
Kausale Therapie
- Immunmodulatoren
- Indikation: Herzinsuffizienz und/oder eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion
- Wirkstoff: IVIG
- Ggf. Interferon-β
- Ggf. IL-1R-Antagonist (z.B. Anakinra)
- Ggf. ASS + Colchicin
- Immunsuppressiva
- Indikation: Herzinsuffizienz und/oder eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion ohne Erregernachweis in der Endomyokardbiopsie
- Wirkstoffe: Kombination von Prednisolon und Azathioprin
- Antiinfektiva
- Indikation: Ggf. bei Herzinsuffizienz und/oder eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion mit Erregernachweis in der Endomyokardbiopsie
- Wirkstoffe: Erregerabhängig
- Virostatika (z.B. Ganciclovir, Valganciclovir oder Aciclovir , Oseltamivir )
- Antibiotika (z.B. Ceftriaxon )
- Antiparasitika, Antimykotika
Bei einer Myokarditis mit Herzinsuffizienz und/oder eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion sollen intravenöse Immunglobuline verabreicht werden!
Weitere kausale Maßnahmen sind nur bei therapierefraktärem Verlauf >2 Wochen und abhängig vom Biopsiebefund indiziert!
Mechanische Kreislaufunterstützung
- Indikation: Therapierefraktärer kardiogener Schock
- Mögliche Maßnahme
- Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
- Ventrikuläre Unterstützungssysteme (LVAD, RVAD, BiVAD)
Eine mechanische Kreislaufunterstützung ist bei bis zu 23% aller Kinder und Jugendlichen mit Myokarditis erforderlich!
OP
- Indikation: Schwerer therapierefraktärer Verlauf
- Maßnahme: Herztransplantation
Eine Herztransplantation ist bei bis zu 20% aller Kinder und Jugendlichen mit Myokarditis erforderlich!
Komplikationen
- Akut: Herzrhythmusstörungen , plötzlicher Herztod, kardiogener Schock,
- Chronisch: Dilatative Kardiomyopathie
Das Risiko für einen plötzlichen Herztod ist insb. bei eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion, fokalen Myokardläsionen im Kardio-MRT oder bereits dokumentierten Herzrhythmusstörungen erhöht!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Verlaufskontrollen und Sportfreigabe [2]
- Bei mildem Verlauf
- Nach 2 Wochen: Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten
- Nach 4 Wochen: EKG → Ggf. Sportfreigabe (Freizeitsport )
- Nach 3 und 12 Monaten: Kinderkardiologische Evaluation
- Bei moderatem Verlauf
- Nach 2 Wochen: Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten
- Nach 3 Monaten: Kinderkardiologische Evaluation → Ggf. Sportfreigabe
- Nach 12 Monaten: Kinderkardiologische Evaluation
- Bei schwerem Verlauf
- Engmaschige kinderkardiologische Evaluation
- Nach 4 Wochen: Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten
- Nach 3 Monaten
- Bei Beschwerdefreiheit kinderkardiologische Evaluation → Ggf. Sportfreigabe
- Bei Beschwerdepersistenz → Sportverbot und individuelle kinderkardiologische Verlaufskontrollen
Auf sportliche Aktivitäten mit moderater bis hoher Intensität sollte i.d.R. für ca. 3–6 Monate verzichtet werden!
Prognose
- Folgeerkrankungen
- Keine (ca. 60–70% aller Fälle)
- Dilatative Kardiomyopathie
- Letalität: Ca. 5%
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- I09.-: Sonstige rheumatische Herzkrankheiten
- I09.0: Rheumatische Myokarditis
- Exklusive: Myokarditis, nicht als rheumatisch bezeichnet (I51.4)
- I40.-: Akute Myokarditis
- I40.0: Infektiöse Myokarditis
- I40.1: Isolierte Myokarditis
- I40.8: Sonstige akute Myokarditis
- I40.9: Akute Myokarditis, nicht näher bezeichnet
- I41.-:* Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- I41.0*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
-
Myokarditis:
- diphtherisch (A36.8†)
- durch Gonokokken (A54.8†)
- durch Meningokokken (A39.5†)
- syphilitisch (A52.0†)
- tuberkulös (A18.8†)
-
Myokarditis:
- I41.1*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
-
Grippe-Myokarditis (akut):
- saisonal, Virus nachgewiesen (J10.8†)
- Virus nicht nachgewiesen (J11.8†)
- zoonotisch oder pandemisch, Virus nachgewiesen (J09†)
- Mumps-Myokarditis (B26.8†)
-
Grippe-Myokarditis (akut):
- I41.2*: Myokarditis bei sonstigen anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
-
Myokarditis bei:
- Chagas-Krankheit, akut (B57.0†)
- Chagas-Krankheit (chronisch) (B57.2†)
- Toxoplasmose (B58.8†)
-
Myokarditis bei:
- I41.8*: Myokarditis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Myokarditis bei chronischer Polyarthritis (M05.3-†)
- Myokarditis bei Sarkoidose (D86.8†)
- I41.0*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- I51.-: Komplikationen einer Herzkrankheit und ungenau beschriebene Herzkrankheit
- I51.4: Myokarditis, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.