Abstract
Seit Beginn der weltweiten HIV-Pandemie in den 1980er-Jahren sind mittlerweile fast 40 Millionen Menschen an einer HIV-Infektion verstorben. Das hierfür ursächliche humane Immundefizienzvirus (HIV) ist ein RNA-Virus aus der Familie der Retroviren und wird sexuell, parenteral oder vertikal (von der Mutter auf das Kind) übertragen. Während in einigen Nationen der Welt mehr als 20% der Bevölkerung betroffen sind, sind in Deutschland ca. 0,1% der Menschen infiziert. Das Virus befällt bevorzugt CD4+-T-Zellen, sodass es bei der unbehandelten Erkrankung im Verlauf zu einem zellulären Immundefekt kommt.
Wenige Tage nach Infektion kommt es meist zu einer akuten HIV-Infektion, die sich mit Fieber, Abgeschlagenheit und einem Virusexanthem äußert. Unbehandelt folgt eine Latenzphase, auch chronische HIV-Infektion genannt, die häufig über Jahre asymptomatisch verläuft. Mit abnehmender Anzahl der CD4+-T-Zellen können intermittierend Symptome der zunehmenden Immunschwäche auftreten (z.B. Herpes Zoster, Mundsoor). Unbehandelt kommt es zum AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome), das durch das Auftreten sog. AIDS-definierender Erkrankungen gekennzeichnet ist, zu denen einige opportunistische Infektionen (z.B. Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie, zerebrale Toxoplasmose, Soorösophagitis), aber auch Malignome (Burkitt-Lymphom, Kaposi-Sarkom) gehören.
Diagnostisch wird i.d.R. ein Suchtest (ELISA) mit einem Bestätigungstest (Immunoblot) kombiniert. Zur Behandlung erfolgt eine antiretrovirale Therapie (ART), die zur Unterdrückung der Virusreplikation und zu einem Anstieg der CD4+-T-Zellen führt. Personen unter effektiver ART sind nicht ansteckend und haben eine nahezu normale Lebenserwartung. In der Bekämpfung der Pandemie spielen die Verhinderung der vertikalen Transmission bei HIV in der Schwangerschaft, die Präexpositions- (PrEP) und Postexpositionsprophylaxe (PEP) eine wichtige Rolle.
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Epidemiologie
Stand Ende 2020
Prävalenz [1][2]
- Deutschland: Ca. 91.000 Personen mit HIV-Infektion (♂ > ♀)
- Weltweit: Ca. 37,7 Mio. Personen mit HIV-Infektion (♀ > ♂) [3]
- HIV-Infizierte mit Zugang zu antiretroviraler Therapie: 27,5 Mio. (73%)
- Kinder: 2,8 Mio. sind weltweit infiziert [4]
Inzidenz [1][2][5]
- Deutschland: Ca. 2.500 Neuinfektionen
- Risikogruppen: MSM (55% aller Neuinfektionen), i.v. Drogenkonsumierende (18% aller Neuinfektionen)
- Weltweit: Ca. 1,5 Mio. Neuinfektionen
- Kinder: 300.000 Neuinfektionen unter Kindern und Jugendlichen pro Jahr [4]
Mortalität [1][2][6]
- Deutschland: Ca. 380 Todesfälle/Jahr
- Weltweit: Ca. 680.000 Todesfälle/Jahr
Weltweit leben fast 40 Millionen Menschen mit HIV-Infektion, davon etwa 100.000 in Deutschland!
Während in Deutschland der überwiegende Anteil der Menschen mit HIV MSM sind, sind weltweit überwiegend Frauen und Personen nach heterosexuellen Sexualkontakten betroffen!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Erreger
HI-Virus [7]
- Subtypen: HIV-1 und HIV-2
- Familie: Retroviridae
- Erregerreservoir: Mensch als einziges Reservoir
- Aufbau: Zwei RNA-Stränge umgeben von einem Kapsid (Kapsidprotein p24) und einer Lipidmembran mit Hüllproteinen (Glykoproteine gp120, gp41)
- Zur Replikation wichtige viruseigene Enzyme: Transkriptase, Integrase, Protease, Reverse Transkriptase
Replikationszyklus
- Bindung an Wirtszelle: Oberflächenprotein gp120 des HI-Virus bindet an CD4-Rezeptor einer menschlichen Zelle
- T-Helferzellen
- Monozytäre Zellen (Makrophagen, Monozyten, dendritische Zellen)
- Mikrogliazellen des ZNS
- Zellen des Magen-Darm-Traktes
- Fusion mit der Wirtszelle
- Bindung von Korezeptoren (CCR5, CXCR4) der menschlichen Zelle: Fusion der Virushülle mit der Lipiddoppelschicht der menschlichen Zelle [8]
- Freisetzung der Virus-RNA und viraler Proteine (z.B. Transkriptase, Integrase) ins Zytoplasma der menschlichen Zelle
- Reverse Transkription der Virus-RNA: Viruseigene reverse Transkriptase schreibt virale RNA in provirale DNA um
- Integration proviraler DNA
- Produktion neuer Virusbestandteile: Nutzung physiologischer Replikationsmechanismen der menschlichen Zelle
- Transkription der integrierten Virus-DNA
- Translation und Produktion neuer Viruspartikel
- Bildung unreifer, nicht-infektiöser HI-Viren
- Freisetzung und Reifung
- Protease-Aktivität: Reifung zu infektiösen Viren
- Befall weiterer menschlicher Zellen
Virämie und Depletion von CD4+-T-Zellen [9]
- Akute Infektion: Hohe Viruslast und Aktivierung des Immunsystems
- Latenzphase
- Eindämmung der Viruslast durch körpereigenes Immunsystem
- Hohe Proliferation kompensiert Depletion von CD4+-T-Zellen
- AIDS
- Hohe Viruslast und Erschöpfung des körpereigenen Immunsystems
- Ausgeprägte Depletion von CD4+-T-Zellen
Übertragung
Die Übertragung des HI-Virus hängt von der Kontagiosität der Person mit HIV und dem Infektionsweg ab. Es wird eine vertikale Übertragung (von Mutter auf Kind) von einer horizontalen (parenteral oder sexuell) unterschieden.
Übertragbarkeit [7]
- Abhängig von der Viruslast
- Höchste Ansteckungsfähigkeit
- Infektiosität auch unter Therapie möglich
- Erneuter Anstieg der Viruslast durch z.B. unregelmäßige Medikamenteneinnahme, Resistenzen
Unter kontinuierlicher ART und konstanter Viruslast <50 RNA-Kopien/mL ist praktisch kein Transmissionsrisiko vorhanden!
Die Benutzung von Kondomen ist dennoch zum Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen sinnvoll!
Infektionswege [7][10]
Horizontal
Das HI-Virus wird durch infizierte Körperflüssigkeiten (Blut, Sperma, Darm- bzw. Vaginalsekret etc.) von Mensch zu Mensch übertragen [10] . [11]
- Ungeschützte Sexualkontakte: Häufigster Infektionsweg
- Analverkehr: Übertragungsrisiko ist rezeptiv höher als insertiv
- Vaginalverkehr: Übertragungsrisiko für den aufnehmenden Sexualpartner höher als für den eindringenden
- Oralverkehr: Sehr geringes Übertragungsrisiko
- Infektionsrisiko
- Erhöht durch Koinfektionen (bspw. Genitalherpes, HPV-Infektionen, Syphilis, Gonorrhö)
- Erniedrigt durch Zirkumzision des Penis [12]
- Parenteral [10]
- Verwendung kontaminierter Injektionsnadeln (z.B. bei i.v. Drogenabusus): Übertragungsrisiko ca. 0,3%
- Stich- und Schnittverletzungen an HIV-kontaminierten Instrumenten (z.B. Nadelstichverletzung bei medizinischem Personal): Übertragungsrisiko ca. 0,3%
- Kontakt von Wunden oder Schleimhaut mit kontaminiertem Material (z.B. Blutspritzer ins Auge)
- Kontaminierte Bluttransfusionen sowie Transplantationen von Organen HIV-infizierter Spender:innen
Das höchste Infektionsrisiko für HIV besteht bei ungeschütztem Analverkehr, insb. für rezeptive Partner:innen!
Vertikal
- Übertragung von einer Mutter auf ihr Kind (siehe auch: STORCH-Erkrankungen und HIV in der Schwangerschaft)
- Übertragungsrisiko
- Mutter ohne ART und Kind ohne HIV-PEP: 20–25% [10]
- Mit Präventionsmaßnahmen: <1% (siehe: HIV in der Schwangerschaft) [7]
Kein Infektionsrisiko
- Soziale Kontakte
- Speichel, Tränenflüssigkeit
- Insektenstiche
- Nahrungsmittel oder Trinkwasser
- Kontakt intakter Haut mit virushaltiger Körperflüssigkeit
Symptome/Klinik
Verlauf der HIV-Infektion [7][13]
Durch die Aufklärung, die Verfügbarkeit einer niederschwelligen Diagnostik und die antiretrovirale Therapie tritt der „klassische“ Verlauf einer unbehandelten HIV-Infektion in Deutschland i.d.R. nur bei Personen mit unbekannter Infektion oder fehlender Therapieadhärenz auf.
- Unbehandelter Verlauf
- Akute HIV-Infektion nach der Ansteckung
- Meist Jahre dauernde „chronische“ HIV-Infektion oder Latenzphase
- Acquired Immunodeficiency Syndrome (AIDS)
- Verlauf bei Verfügbarkeit der antiretroviralen Therapie (ART)
- Opportunistische Infektionen und AIDS-definierende Erkrankungen v.a. als Erstmanifestation einer (noch) unbekannten HIV-Infektion
- Erhalt bzw. Normalisierung der Immunfunktion durch ART
- Trotz effektiver ART erhöhtes Risiko für z.B. Malignome, kardiovaskuläre Ereignisse
Akute HIV-Infektion
- Symptomatik: Ähnlich einer Grippe bzw. einer infektiösen Mononukleose
- Fieber
- Lymphadenopathie
- Stammbetontes Exanthem
- Orale Ulzerationen
- Diarrhö
- Schluckbeschwerden
- Evtl. flüchtige Meningoenzephalitis
- Inkubationszeit: 2–3 Wochen
- Dauer: 1–2 Wochen
- Infektiosität: Sehr hoch
- Besonderheiten in der Diagnostik: Kombinierter Antikörper-Antigen-p24-Test + zusätzlich HIV-PCR
Die akute HIV-Infektion tritt in ca. 80% der Infektionen auf und äußert sich ähnlich einer infektiösen Mononukleose!
Chronische HIV-Infektion/Latenzphase [13][14][15]
- Dauer: Monate bis Jahrzehnte, bei Kindern und Säuglingen deutlich kürzer
- Klinisches Bild: Intermittierende Symptomatik und/oder beschwerdefreie Phasen
- Progredienz des zellulären Immundefekts → Infektionen, Malignome
- Auftreten anderer HIV-assoziierter Erkrankungen
- (Noch) keine AIDS-definierenden Erkrankungen
Zur chronischen HIV-Infektion gehören unspezifische Symptome sowie Erkrankungen, die mit dem progredienten Immundefekt und der ursächlichen HIV-Infektion assoziiert sind, aber nicht zu den AIDS-definierenden Erkrankungen gehören!
Allgemeinsymptome
- Reduzierter Allgemeinzustand, Gewichtsverlust
- Anhaltende subfebrile Temperaturen
- Chronische Diarrhö
- Generalisierte indolente Lymphknotenschwellung
- Gehäufte bakterielle Infektionen, z.B. Entzündungen des weiblichen Beckens (Tuboovarialabszesse) oder Pneumonien
- Haarveränderungen
Opportunistische Infektionen
- Candidose
- Mundsoor
- Genitaler Soor: Vaginale Candidose und Balanitis
- Herpes Zoster
- Herpes-simplex-Erkrankungen, insb. Eczema herpeticatum
- Eczema molluscatum (disseminierter Befall mit Molluscum contagiosum)
- Bazilläre Angiomatose
Weitere HIV-assoziierte Veränderungen
- Blutbildveränderungen, bspw.
- HIV-assoziierte Thrombozytopenie, Anämie oder Neutropenie
- Immunthrombozytopenie (ITP)
- Veränderungen der Haut und Schleimhäute, bspw.
- Orale Haarleukoplakie: Nicht-abstreifbare weißliche Beläge am seitlichen Zungenrand [16]
- Erreger: Epstein-Barr-Virus
- Ätiologie: Immunschwäche (insb. bei HIV-Infektion)
- Diagnostik: Blickdiagnose
- Therapie: Antiretrovirale Therapie (ART)
- Seborrhoisches Ekzem
- Orale Haarleukoplakie: Nicht-abstreifbare weißliche Beläge am seitlichen Zungenrand [16]
- Dysplasien und Neoplasien, bspw.
- Carcinoma in situ der Zervix
- Anale Dysplasien und Analkarzinom
- Hodgkin-Lymphom
- Siehe auch: HIV-assoziierte Malignome
- Neuropsychiatrische Symptome, bspw.
- Neurokognitive Beeinträchtigung, siehe auch: HIV-1-assoziierte neurokognitive Störung (HAND)
- HIV-Polyneuropathie
- Depressionen und andere affektive Störungen
- HIV-Myelopathie oder HIV-Myopathie
- Kardiovaskuläre Ereignisse↑, siehe auch: HIV-assoziiertes kardiovaskuläres Risiko
- Chronische Nierenerkrankung: Durch HIV-assoziierte Nephropathie
Im Verlauf der HIV-Infektion kommt es neben Allgemeinsymptomen (Lymphadenopathie, Gewichtsverlust) durch den zellulären Immundefekt gehäuft zu (opportunistischen) Infektionen!
Bei Herpes Zoster oder seborrhoischem Ekzem sollte ein HIV-Test angeboten werden!
AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) [17]
- Definition: Auftreten sog. AIDS-definierender Erkrankungen im Rahmen einer HIV-Infektion
- Häufigkeit: Ca. 30–50% der Personen mit neu diagnostizierter HIV-Infektion haben AIDS-definierende Erkrankungen [13]
- Zeitpunkt: Unbehandelt einige Jahre nach Erstinfektion mit HIV
- Latenzzeit sehr unterschiedlich, im Median nach 8–10 Jahren
Übersicht über die AIDS-definierenden Erkrankungen | |
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Infektionen |
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Malignome |
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Weitere Erkrankungen |
CDC-Stadien
- Ziel: Erfassung der Stadien bei Erstdiagnose und ggf. bei Krankheitsprogress
- Zweck: Epidemiologische Überwachung zur Evaluation bisheriger Präventionsmaßnahmen und der medizinischen Versorgung von Personen mit HIV
Das CDC-Stadium wird bei Progression hochgestuft, aber nie zurück, sodass das Stadium insb. bei therapierten Personen nichts über die aktuelle klinische Symptomatik oder Kontrolle der HIV-Infektion aussagt!
Klassische CDC-Stadien [19]
Die Stadien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) wurden mehrfach revidiert, aktuell sind die CDC-Stadien 2014 gültig. Die klassische CDC-Stadieneinteilung, die heute klinisch noch häufig zur Anwendung kommt, berücksichtigt die eigentlich veralteten klinischen Stadien A, B und C in Verbindung mit der Anzahl CD4+-T-Zellen.
- Stadium A
- Akute HIV-Infektion
- Asymptomatische HIV-Infektion
- Persistierende generalisierte Lymphadenopathie
- Stadium B: HIV-assoziierte Erkrankungen ohne AIDS-definierende Erkrankungen
- Stadium C: AIDS-definierende Erkrankungen
Klassische CDC-Stadien | |||
---|---|---|---|
CD4+-T-Zell-Zahl pro μL | HIV Stadium A | HIV Stadium B | HIV Stadium C |
≥500 | A1 | B1 | C1 |
200–499 | A2 | B2 | C2 |
<200 | A3 | B3 | C3 |
Die klassischen CDC-Stadien setzen sich aus einem Buchstaben (A–C je nach klinischem Stadium) und einer Zahl (1–3 je nach CD4+-T-Zell-Zahl) zusammen.
Aktuelle CDC-Stadien (2014) [17]
- Aktuell gültige Revision der klassischen CDC-Stadieneinteilung von 2014
- Stadieneinteilung
- Stadium 0: Solange nur ein Test positiv ist
- Stadium unbekannt: Solange die CD4+-T-Zell-Zahl unbekannt ist
- Stadium 1–3
- Positiver Such- und Bestätigungstest und
- Einteilung nach CD4+-T-Zell-Zahl
- Besonderheit Stadium 3: Bei Diagnose einer AIDS-definierenden Erkrankung erfolgt die Einstufung unabhängig von der CD4+-T-Zell-Zahl
CDC-Stadien 2014 | ||||
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Alter <1 Jahr | Alter 1–5 Jahre | Alter ≥6 Jahre | ||
| 1 |
|
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2 |
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| |
3 |
|
|
| |
Unabhängig von CD4+-T-Zell-Zahl: Bei AIDS-definierender Erkrankung |
Diagnostik
HIV-Tests [7][13][20][21]
Grundlegendes zum HIV-Test
- Indikation: Je nach individueller Berufs-, Sexual- und Drogenanamnese sowie bei Personen mit erhöhter Prävalenz
- Obligat vor Testung
- Ärztliche Aufklärung über Testung und Folgen eines positiven Ergebnisses
- Informierte Einwilligung (meist mündlich)
- Durchführung: Zweistufentest (Screening- und Bestätigungstest) an je zwei Blutproben
- Diagnostische Lücke: Abhängig vom Test
- Vorgehen
- Nach Risikokontakt: Test frühestens nach 3 Wochen, ggf. erneut nach 6–12 Wochen zum sicheren Ausschluss , siehe auch: HIV-PEP oder PrEP
- Bei unklaren Testergebnissen : Wiederholung nach 2–3 Wochen
- Kommunikation positiver Befunde: Das Überbringen einer HIV-Diagnose ist herausfordernd
- Hilfestellung siehe: Breaking Bad News - Checkliste für Ärzte
Der Wunsch nach einem HIV-Test kann auf ein erhöhtes Risiko hinweisen und ist meist eine ausreichende Indikation für einen HIV-Test!
Ein anonymer HIV-Test kann in den Beratungsstellen der Gesundheitsämter und entsprechender Organisationen (bspw. Deutsche Aidshilfe e.V.) durchgeführt werden! [22]
Zweistufentest
- Screening-Test: Hohe Sensitivität zum sicheren Erkennen infizierter Personen
- ELISA (kombinierter Antikörper-Antigen-p24-Test)
- Bestätigungstest: Hohe Spezifität zur Detektion falsch-positiver Screening-Testergebnisse
- HIV-PCR und/oder
- Antikörpertest mittels Immunoblot (z.B. Western- oder Lineblot)
1. Screening-Test
- Kombinierter Antikörper-Antigen-p24-Test (ELISA)
- Diagnostische Lücke beachten: 6-Wochen-Zeitfenster
- Testergebnis
- Positiv: Bestätigungstest obligat
- Negativ
- Bei dringendem V.a. eine akute HIV-Infektion : HIV-PCR
- 6–12 Wochen nach Expositionsereignis: Infektion nahezu ausgeschlossen
Bei V.a. eine akute HIV-Infektion sollte zusätzlich zum kombinierten Antikörper-Antigen-Test wegen der diagnostischen Lücke eine HIV-PCR durchgeführt werden!
2. Bestätigungstest
- Immunoblot (Western- oder Lineblot): Antikörpertest
- Differenzierung von HIV-1 und HIV-2: Bei Einsatz typspezifischer Immunoblots
- HIV-PCR (Nukleinsäuretest): Nachweis von HIV-RNA
- Zuverlässigkeit: Hohe Sensitivität und Spezifität
- Positives Testergebnis: ≥1.000 RNA-Kopien/mL (HIV-1-PCR positiv)
- Unklares Testergebnis: <1.000 RNA-Kopien/mL → Durchführung eines zusätzlichen Immunoblot-Tests (sowie zusätzlich einer HIV-2-PCR bei serologischem Verdacht)
- Differenzierung von HIV-1 und -2: Mittels typspezifischer PCR möglich
- Besonderheiten beim Testen von Neugeborenen
- Bestätigung eines positiven HIV-PCR-Ergebnisses durch erneute HIV-PCR erforderlich
- Falsch-negative Ergebnisse bei antiretroviraler Behandlung des Neugeborenen möglich
Bei V.a. HIV-Infektion sollte nach Einwilligung ein Suchtest (kombinierter Antikörper-Antigen-p24-Test) und bei positivem Befund zusätzlich ein Bestätigungstest (Immunoblot oder HIV-PCR) durchgeführt werden!
HIV-Selbsttest [13][23]
- „Screening-Test für Zuhause“ (Antikörpertest): Sensitivität 100%, Spezifität 99,8%
- Schnelltest bei Nadelstichverletzungen, Entbindung von Schwangeren bei unbekanntem HIV-Status, siehe: HIV in der Schwangerschaft
- Diagnostische Lücke mit 12-Wochen-Zeitfenster beachten
- EU-Zulassung der Tests mit CE-Markierung [23]
- Frei verkäuflich in Apotheken, Drogerien und dem Internet
Diagnostik bei HIV-Erstdiagnose [13][21]
- Erstuntersuchung: Ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung
- Anzahl der CD4+-T-Zellen, CD4+/CD8+-T-Zell-Ratio
- Diagnostisches Kriterium für die Einteilung in die CDC-Stadien
- Risikoeinschätzung für das Vorliegen begleitender Erkrankungen
- Verlaufsparameter unter Therapie
- Viruslast
- Verfahren: Quantitative RNA-Bestimmung durch HIV-PCR (Probe: EDTA-Blut, Lagerung bei Raumtemperatur (15–25 °C))
- Bedeutung
- Verlaufsparameter und Indikator für Therapieerfolg
- Hinweis auf Infektiosität
- Abklärung von Komorbiditäten: Ausführliche Blut- und Urinuntersuchung und apparative Diagnostik
- Resistenztestung
- Früherkennungsuntersuchungen
Ausschluss von Koinfektionen
Bei HIV-Erstdiagnosestellung (und ggf. erneut im Verlauf) sollten andere Infektionserkrankungen ausgeschlossen werden.
- Tuberkulose: Tuberkulin-Hauttest oder Interferon-γ-Test
- Virushepatitiden
- STD
Therapie
Die Therapie der HIV-Infektion besteht aus einer Kombination mehrerer virostatischer Substanzen, der sog. antiretroviralen Therapie (ART). Sie wird nach Diagnosestellung begonnen und lebenslang fortgeführt. Für weiterführende klinische Informationen siehe auch:
- Substanzklassen der HIV-Therapie
- Antiretrovirale Therapie (ART) - Klinische Anwendung
- Therapie-assoziierte Komplikationen bei HIV-Infektion
Therapiegrundsätze [7][13][15][21]
- Ziel
- Unterdrückung der Virusreplikation und Reduktion der Infektiosität
- Vermeidung eines Krankheitsprogresses und Wiederherstellung der zellulären Immunität
- Normalisierung der Lebenserwartung und Verbesserung der Lebensqualität
- Vor Therapieeinleitung: Aufklären und Therapieadhärenz sicherstellen
- Dauer: Durchgehend und lebenslang
- Therapiebeginn: Grundsätzlich so schnell wie möglich
- Schnelle Therapieeinleitung: Bei Symptomatik einer akuten bzw. chronischen HIV-Infektion oder bei Immundefekt mit reduzierter CD4+-T-Zell-Zahl, Komorbiditäten oder Schwangerschaft
- Verzögerung möglich: Asymptomatisch und CD4+-Zell-Zahl ≥500/μL
- Besonderheiten bei Vorliegen bestimmter opportunistischer Infektionen [13][15]
- Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PCP): Therapie innerhalb der ersten 2 Wochen
- Kryptokokkus-Meningitis und ggf. Tuberkulose (je nach Manifestation): ART verzögern für mind. 4 Wochen
„Test and treat“ – jede Person mit nachgewiesener HIV-Infektion hat die Indikation zur antiretroviralen Therapie!
Die Therapieadhärenz der Patient:innen ist essenziell, um eine Resistenzentwicklung zu vermeiden!
Zusätzlich zur ART sollte bei CD4+-T-Zellen ≤200/μL die Primärprophylaxe mit Cotrimoxazol nicht vergessen werden!
Verlaufskontrollen bei HIV-Infektion
- Frequenz: Anfangs monatlich, dann alle 2–3 Monate
- Kontrollparameter
- CD4+-T-Zellen
- HIV-RNA (Viruslast)
- Therapieerfolg
- CD4+-T-Zellen↑, opportunistische Infektionen↓
- Viruslast dauerhaft <50 RNA-Kopien/mL
Begleitende Maßnahmen
- Selbsthilfegruppen
- Psychosoziale Beratung
- Gesundheitstrainings
- Einbeziehung von Sexualpartner:innen
Substanzklassen der HIV-Therapie
Die antiretrovirale Therapie besteht u.a. zur Vermeidung einer Resistenzbildung aus mehreren Substanzen mit verschiedenen Wirkmechanismen.
Nukleosidische/nukleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)
- Wirkmechanismus: Kompetitive Hemmung der reversen Transkription der HI-Virus-RNA durch Kettenabbruch nach Einbau in neu synthetisierte DNA-Stränge
- Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NsRTI) : Bspw. Emtricitabin, Lamivudin, Abacavir, Zidovudin
- Nukleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NtRTI) : Bspw. Tenofovirdisoproxilfumarat oder -alafenamid
- Vor- und Nachteile
- Nebenwirkungen: Müdigkeit, Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden, Hypersensitivitätsreaktion
- Wenig Interaktionspotenzial
Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)
- Wirkmechanismus: Nicht-kompetitive Hemmung der viruseigenen reversen Transkriptase
- Wirkstoffe: Bspw. Rilpivirin, Efavirenz, Nevirapin, Etravirin, Doravirin
- Vor- und Nachteile
- Nebenwirkungen: Exanthem, Hepatotoxizität, Lipidveränderungen, ZNS-Störungen (Schwindel, Benommenheit, Albträume)
- Häufige Primärresistenzen
- Interaktionen: Metabolisierung über Cytochrom-P450-System
Protease-Inhibitoren (PI)
- Wirkmechanismus: Hemmung der katalytischen Protease-Aktivität (zur Spaltung von Gag-Pol-Poly-Proteinen), die zur Bildung reifer infektiöser Viruspartikel nötig ist
- Wirkstoffe: Bspw. Darunavir, Atazanavir, Lopinavir, Tipranavir
- Booster: Ritonavir oder Cobicistat
- Vor- und Nachteile
- Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden (insb. Diarrhö), Dyslipidämie, Exanthem
- Wenig anfällig für Resistenzen
- Interaktionen: Metabolisierung über CYP3A4
Integrase-Inhibitoren
- Wirkmechanismus: Integrationshemmung der HIV-DNA in die genomische DNA der Wirtszelle
- Wirkstoffe: Bspw. Elvitegravir, Raltegravir, Dolutegravir, Bictegravir, Cabotegravir
- Vor- und Nachteile
- Nebenwirkungen: ZNS-Störungen (Schwindel, Schlafstörungen), Gewichtszunahme, Transaminasenerhöhung
- Hohe Resistenzbarriere
- Wenig Interaktionspotenzial
- Besonders rasche und effektive Senkung der Viruslast
Weitere Substanzklassen
- CCR5-Inhibitoren: Maraviroc
- Wirkmechanismus: Fusionshemmung durch Inhibition des Korezeptors CCR5
- Fusions-Inhibitoren: Enfuvirtid
- Wirkmechanismus: Fusionshemmung durch Inhibition des Glykoproteins gp41
- Attachment-Inhibitoren: Fostemsavir, Ibalizumab
- Wirkmechanismus: Hemmung des Andockens („Attachment“) des HIV-Glykoproteins gp120 an den CD4-Rezeptor
NRTI enden meist auf „-in", Protease-Inhibitoren auf „-navir", Integrase-Inhibitoren auf „-gravir“ und NNRTI haben in der Mitte die Silbe „-vir-".
Das Interaktionspotenzial vieler antiretroviraler Medikamente sollte beachtet werden!
Antiretrovirale Therapie (ART)
Grundsätzliches
- Synonyme (veraltet): Kombinierte antiretrovirale Therapie (cART), hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART)
- Prinzip: Resistenzvermeidung durch Kombinationstherapie
- Optimierung der Therapieadhärenz: Einsatz von Fixkombinationen und Depotpräparaten
- Therapieauswahl: Abhängig von
- Anwendungsfreundlichkeit
- Resistenztestung
- Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen
- Koinfektionen und -morbiditäten
- Kinderwunsch (bei Frauen)
- Lebenssituation und Wunsch der Person
Empfohlene Therapieregime
- Klassische Kombinationsmöglichkeiten
- Neuere Therapieregime
Therapieregime nach erfolgter Resistenztestung
Antiretrovirale Initialtherapie [21] | |
---|---|
Eintablettenregime | |
(2) NRTI + Integrase-Inhibitor | Tenofoviralafenamid (TAF) + Emtricitabin (FTC) + Bictegravir (BIC) Tenofoviralafenamid (TAF) + Emtricitabin (FTC) + Elvitegravir/c (EVG) Abacavir (ABC) + Lamivudin (3TC) + Dolutegravir (DTG) Lamivudin (3TC) + Dolutegravir (DTG) |
2 NRTI + NNRTI | Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) + Lamivudin (3TC) + Doravirin (DOR) Emtricitabin (FTC) + Rilpivirin (RPV) + Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) oder Tenofoviralafenamid (TAF) |
2 NRTI + Protease-Inhibitor | Tenofoviralafenamid (TAF) + Emtricitabin (FTC) + Darunavir (DRV) |
Mehrtablettenregime | |
2 NRTI + Integrase-Inhibitor | Dolutegravir (DTG) + Tenofoviralafenamid (TAF) / Emtricitabin (FTC) oder Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) / Emtricitabin (FTC) |
Raltegravir (RAL) + Abacavir (ABC) / Lamivudin (3TC) oder Tenofoviralafenamid (TAF)/Emtricitabin (FTC) oder Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF)/Emtricitabin (FTC) | |
2 NRTI + NNRTI | Doravirin (DOR) + Tenofoviralafenamid (TAF)/Emtricitabin (FTC) oder Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF)/Emtricitabin (FTC) oder Abacavir (ABC)/Lamivudin (3TC) |
2 NRTI + Protease-Inhibitor | Darunavir (DRV) + Abacavir (ABC) / Lamivudin (3TC) oder Tenofoviralafenamid (TAF) / Emtricitabin (FTC) |
Therapieregime bei ausstehender Resistenztestung
- Tenofoviralafenamid (TAF) + Emtricitabin (FTC) + Bictegravir (BIC)
- Dolutegravir (DTG) + Tenofoviralafenamid (TAF) / Emtricitabin (FTC) oder Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) / Emtricitabin (FTC)
- Darunavir (DRV) +Tenofoviralafenamid (TAF) / Emtricitabin (FTC)
Der Beginn und die Steuerung einer antiretroviralen Therapie sollten durch HIV-Schwerpunktärzt:innen erfolgen!
Bei Koinfektion mit Hepatitis B oder C sind hepatotoxische Substanzen kontraindiziert!
Therapieversagen unter ART
- Definition [21][24]
- Vorgehen
- Resistenztestung
- Plasmaspiegelkontrolle der antiretroviralen Medikamente
- Überprüfung der Compliance, möglicher Infekte und Arzneimittelinteraktionen
- Alternativtherapie: Nur in Konsultation mit spezialisierten Infektiolog:innen
- Absetzen der unwirksamen Medikamente: Alle Substanzen gleichzeitig unter Beachtung der jeweiligen Halbwertszeiten
- Einsatz zweier bisher nicht genutzter Substanzen, gegen die keine Resistenz vorliegt
- Bei HBV-Koinfektion: Fortsetzung HBV-wirksamer Therapie
- Therapieunterbrechungen möglichst vermeiden
Bei Beginn oder Umstellung von Begleitmedikation sollten Interaktionen mit der ART überprüft werden!
Komplikationen der antiretroviralen Therapie
Die hier genannten Komplikationen treten ausschließlich therapieassoziiert auf. Auch andere Erkrankungen und Komplikationen entstehen anteilig durch die ART, siehe auch: HIV-Polyneuropathie, HIV-assoziiertes kardiovaskuläres Risiko.
Immunrekonstitutionelles inflammatorisches Syndrom (IRIS) [13][18]
- Synonym: Immunrekonstitutionssyndrom
- Definition: Verschlechterung oder Neuauftreten eines infektiologischen oder inflammatorischen Geschehens in zeitlichem Zusammenhang mit dem ART-Beginn
- Paradoxes IRIS: Verschlechterung eines infektiologischen oder inflammatorischen Geschehens
- Unmasking IRIS: Neuauftreten eines infektiologischen oder inflammatorischen Geschehens
- Definierende Kriterien der INSHI
- Klinische Verschlechterung/Neuauftreten einer Infektion oder Inflammation im zeitlichen Zusammenhang mit Beginn einer ART
- Ansprechen der HIV-Infektion auf ART
- Symptomatik nicht erklärbar durch
- Erwarteten klinischen Infektionsverlauf
- Nebenwirkungen der ART
- Therapieversagen oder Non-Compliance
- Häufigkeit: In den ersten 3 Monaten nach ART-Einleitung ca. 5–10%
- Risikofaktoren: CD4+-T-Zell-Zahl <50/μL und hohe Viruslast bei ART-Beginn
- Klinisches Bild: Sehr variabel
- Unspezifische Allgemeinsymptome: Fieber, Exanthem und Follikulitis
- Symptome der jeweiligen opportunistischen Infektion
- Therapie
- Behandlung der jeweiligen Erkrankung
- ART fortführen trotz IRIS
- Milde Allgemeinsymptome: Ggf. NSAR
- Je nach Ursache des IRIS auch Glucocorticoide, z.B. bei Tuberkulose
- Prophylaxe bei ART-Beginn
- Bei CD4+-T-Zell-Zahl <200/μL und hoher Viruslast: Engmaschige Beobachtung
- Bei CD4+-T-Zell-Zahl <50/μL: Latente Mykobakterien-Infektion ausschließen
- Bei Vorliegen einer opportunistischen Infektion ggf. verzögerter ART-Beginn (z.B. Kryptokokkus-Meningitis)
- Prognose: Allgemein gut, Besserung i.d.R. ohne spezifische Therapie
Falls sich HIV-Infizierte mit niedrigen CD4+-T-Zellen (≤200/μL) innerhalb der ersten 3 Monate nach ART-Einleitung klinisch verschlechtern, sollte an ein IRIS gedacht und nach der Ursache gesucht werden!
Lipodystrophiesyndrom
- Ätiologie: Nebenwirkung insb. der Protease-Inhibitoren
- Klinische Diagnose
- Umverteilung des Fettgewebes (klinisch sehr variables Erscheinungsbild)
- Zentrale Fettleibigkeit
- Verlust des Unterhautfettgewebes (Lipoatrophie) an Gesicht und Extremitäten
- Metabolische Veränderungen: Gestörte Glucosetoleranz, Hyperlipoproteinämie (Triglyceride↑, Gesamtcholesterin↑, HDL↓)
- Ggf. Fettakkumulation in Leber, Muskulatur, Bauchraum, Brustbereich oder Nacken („Stiernacken“)
- Therapie
- Allgemeinmaßnahmen
- Umstellung der ART
- Ggf. Lipidsenker oder chirurgische Intervention
Überblick über Prophylaxe und Therapie opportunistischer Infektionen
In der Therapie von HIV-infizierten Personen ist neben der ART auch die medikamentöse Prophylaxe und ggf. Therapie opportunistischer Infektionen von Bedeutung.
Generell ist eine effektive HIV-Therapie (ART) entscheidend, um das Risiko opportunistischer Infektion zu minimieren!
Alle Personen mit HIV und daraus resultierenden CD4+-T-Zellen ≤200/μL sollten eine Primärprophylaxe mit Cotrimoxazol erhalten – weitere Prophylaxen sind i.d.R. nur nach durchgemachter Infektion indiziert! [27]
Komplikationen
Die Komplikationen einer HIV-Infektion sind vielfältig: Zu den häufigsten gehören (opportunistische) Infektionen, die infolge des Immundefekts entstehen. Langfristige Komplikationen sind oft Folge einer direkten Schädigung durch das HI-Virus oder treten als Nebenwirkungen einer antiretroviralen Therapie auf. Von zunehmender Bedeutung sind HIV-assoziierte Malignome. [13][15]
Übersicht
Im Folgenden wird nur ein Teil der HIV-assoziierten Komplikationen aufgeführt. Für einen Überblick aller opportunistischen und AIDS-definierenden Erkrankungen siehe auch: Symptome/Klinik einer HIV-Infektion.
- Opportunistische Infektionen
- HIV-assoziierte Komplikationen
- HIV-assoziierte Malignome
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Opportunistische Infektionen
Opportunistische Infektionen sind eine Gruppe von Erkrankungen durch fakultativ pathogene Erreger. Bei Immunkompetenten treten diese Erkrankungen i.d.R. nicht auf, erst bei Immunsuppression (z.B. einer HIV-Infektion) führen die Erreger zu einer Infektionserkrankung. Bei einer HIV-Infektion treten sie meist abhängig von der CD4+-T-Zellzahl auf .
- Parasitäre Infektionen
- Pilzinfektionen
- Virale Infektionen
- Bakterielle Infektionen
Zerebrale Toxoplasmose [13][15][18][25]
- Definition: Durch die Reaktivierung nach Infektion mit dem Protozoon Toxoplasma gondii auftretende opportunistische Infektionserkrankung des ZNS, die bei Personen mit Immunsuppression (insb. HIV-Infektion) auftritt
- Epidemiologie: Häufigste neurologische AIDS-definierenden Erkrankung
- Ätiologie: Reaktivierung latenter Infektion mit Toxoplasma gondii (Protozoon) bei Immunsuppression
- Weitere Manifestationen und Verlauf bei Immunkompetenten siehe: Toxoplasmose
- Pathologie
- Intrazelluläre Pseudozysten mit Toxoplasmose-Bradyzoiten und -Tachyzoiten in chronisch entzündetem oder nekrotischem Gliagewebe
- Klinisches Bild
- Fokal-neurologische Symptome: Hemiparesen, Sensibilitätsstörungen, Aphasie, Ataxie, epileptische Anfälle
- Kopfschmerzen
- Vigilanzminderung und Wesensveränderung
- Diagnostik
- Bildgebung
- Direkter/Indirekter Erregernachweis
- Serologie: Bei negativem IgG ist die Diagnose unwahrscheinlich
- Stereotaktische Biopsie: Bei untypischer Befundlage oder fehlender Besserung nach probatorischem Therapieversuch
- Liquorpunktion
- Therapie [15][18]
- Indikation: Schon bei klinisch-radiologischem Verdacht und HIV-Infektion
- Substanzen: Pyrimethamin + Sulfadiazin + Folinsäure (nicht Folsäure) für mind. 4–6 Wochen [28][29][30]
- Alternative z.B. bei Sulfonamidallergie: Pyrimethamin + Clindamycin + Folinsäure (nicht Folsäure) [28][30][31]
- Alternative, falls p.o. Therapie nicht möglich: Monotherapie mit Cotrimoxazol [15]
- Zusätzlich
- Bei HIV-Infektion: ART rasch beginnen, innerhalb von 2 Wochen nach Beginn der Toxoplasmose-Therapie
- Bei Hirndruck: Restriktive Gabe von Steroiden [32]
- Bei epileptischen Anfällen: Gabapentin, Pregabalin oder Levetiracetam
- Verlaufskontrolle: cMRT bei klinischer Verschlechterung oder frühestens 14 Tage nach Therapiebeginn
- Erhaltungstherapie: Cotrimoxazol bis Immunrekonstitution bzw. CD4+-T-Zellzahl >200/μL für ≥6 Monate (und MRT ohne KM-Enhancement) [27]
- Prognose: Potenziell lebensbedrohlich
- 5-Jahres-Überlebensrate bei ca. 80%
- In ⅓ der Fälle verbleibt eine neurologische Symptomatik
- Prophylaxe
- Indikationen
- Bei HIV-Infektion mit CD4+-T-Zellen ≤200/μL (und positiver Toxoplasma-Serologie) und/oder
- Starker Immunsuppression anderer Genese, z.B. bei bestimmten Chemotherapien [15][18]
- Durchführung
- 1. Wahl: Cotrimoxazol [27]
- Alternativen
- Falls möglich: Reduktion der Immunsuppression, z.B. durch HIV-Therapie
- Indikationen
Die zerebrale Toxoplasmose ist die häufigste opportunistische Erkrankung des ZNS!
(Chronische intestinale) Kryptosporidiose [13][35]
- Definition: Parasitäre, fäkal-oral übertragene Durchfallerkrankung mit Cryptosporidium spp., die bei Immunkompetenten selbstlimitierend und bei Immunsupprimierten (insb. mit HIV-Infektion) als opportunistische Infektion chronisch und potenziell letal verlaufen kann
- Erreger: Kryptosporidien, z.B. Cryptosporidium parvum und Cryptosporidium hominis (intrazelluläre Protozoen)
- Ätiologie
- Weltweit vorkommend
- Übertragung: Fäkal-oral
- Risiko: Schwere Immunsuppression (HIV-Infektion mit CD4+-T-Zellen ≤200/μL, onkologische Erkrankungen, Organtransplantation)
- Klinisches Bild: Wenige Tage andauernd bis chronischer Verlauf
- Sekretorische Durchfälle, Übelkeit, Erbrechen, Wasser- und Elektrolytverluste
- Abdominelle Krämpfe, Fieber
- Malabsorption, Gewichtsverlust
- Gallenwegserkrankungen, sklerosierende Cholangitis
- Diagnostik
- Therapie: Bei Immunkompetenten häufig selbstlimitierend, sonst ist Immunrekonstitution entscheidend (z.B. Beginn/Optimierung der ART bei HIV-Infektion)
- Symptomatisch: Wasserhaushalt ausgleichen (ggf. Infusionen), Loperamid [36], Opiumtinktur
- Ggf. Nitazoxanid, Rifaximin (Rifampicin-Derivat), Paromomycin ± Azithromycin [37]
Bei Immunsuppression (insb. HIV) und schweren, anhaltenden Diarrhöen sollte an eine Kryptosporidiose gedacht und Stuhl unter Angabe der Immunsuppression in ein entsprechendes Labor verschickt werden!
Cystoisosporiasis [13][15][38]
- Definition: Fäkal-oral übertragene Infektionserkrankung der (Sub‑)Tropen, die durch das Protozoon Cystoisospora belli verursacht wird und sich insb. bei Immunsuppression als teilweise chronisch verlaufende Enteritis präsentiert
- Erreger: Cystoisospora belli (Protozoen)
- Ätiologie
- Insb. in (sub‑)tropischen Regionen vorkommend
- Übertragung: Fäkal-oral
- Klinisches Bild: Wenige Tage andauernd (bei Immunkompetenten) bis chronischer Verlauf
- Wässrige Durchfälle, Übelkeit, Erbrechen
- Dehydratation, Elektrolytverlust, Hypokaliämie
- Gewichtsverlust, Malabsorption
- Abdominelle Krämpfe, Fieber
- Diagnostik: Stuhlmikroskopie mit Nachweis der Oozysten
- Therapie
- Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushalts, ggf. Nahrungsergänzung
- Cotrimoxazol [27]
- Sekundärprophylaxe: Erhaltungstherapie mit Cotrimoxazol [27]
- Prävention: Vermeidung fäkal-oraler Übertragung durch allgemeine Hygienemaßnahmen
Die Cystoisosporiasis verursacht gastrointestinale Beschwerden und tritt reiseassoziiert auf!
Kryptokokkose (Kryptokokkus-Meningitis und disseminierte Kryptokokkose) [15][25]
- Definition: Infektionserkrankung durch den Hefepilz Cryptococcus neoformans, die meist als Kryptokokkus-Meningitis, seltener auch als disseminierte Kryptokokkose (Lunge, Haut) verläuft und insb. bei Immunsuppression (v.a. als opportunistische Infektion bei HIV-Infizierten mit CD4+-T-Zellen ≤100/μL) auftreten kann
- Erreger: Cryptococcus neoformans (Hefepilz) , seltener C. gattii
- Klinisches Bild
- Meningoenzephalitis (häufigste Manifestation, >75% der Fälle): Kopfschmerzen, Fieber und innerhalb weniger Tage zunehmende Bewusstseins- und Wesensveränderungen und/oder Paresen insb. der Hirnnerven
- Atypische Pneumonie (30–40% der Fälle): Husten, Dyspnoe
- Noduläre Hautläsionen
- Diagnostik
- Direkter/indirekter Erregernachweis
- Kryptokokkus-Antigen im Serum/Urin
- Blutkulturen
- Liquoruntersuchung (obligat)
- Leichte Eiweißerhöhung, leichte Zellzahlerhöhung mit vermehrten Lymphozyten
- Antigennachweis, PCR, Mikroskopie , Kultur
- Liquordruckmessung, ggf. Liquordrainage
- Bei kutaner (bzw. pulmonaler) Manifestation: Biopsie erwägen
- Bildgebung
- Direkter/indirekter Erregernachweis
- Therapie
- Medikamentöse Therapie
- Initial: Liposomales Amphotericin B (alternativ: Amphotericin B ) plus Flucytosin [39][40][41]
- Im Verlauf (nach klinischem Ansprechen und ≥14 Tagen Therapie): Fluconazol [42]
- Erhaltungstherapie: Fluconazol [42]
- Liquorpunktionen: Bei initial erhöhtem Hirndruck regelmäßige Liquordrainagen (inkl. Kontrolle des Antigens) durchführen
- Bei HIV-Infektion: ART-Beginn ≥4 Wochen nach Therapiebeginn
- Medikamentöse Therapie
- Prognose: Letalität 10–20%
- Ungünstig: Initiale Vigilanzminderung, hohe Erregerlast im Liquor, späte Liquorsterilisierung [24]
Die Kryptokokkose ist eine Erkrankung mit hoher Mortalität bei Personen mit HIV (insb. in Afrika und Asien) und schweren T-Zell-Defekten unter Immunsuppression!
Kokzidioidomykose („Valley Fever“) [13][38][43][44]
- Definition: Infektionserkrankung mit dem im Südwesten der USA vorkommenden Schimmelpilz Coccidioides, die bei Immunkompetenten asymptomatisch oder als Pneumonie und bei Immunsupprimierten auch als disseminierte Erkrankung verläuft
- Erreger: Coccidioides immitis und posadasii
- Ätiologie
- Übertragung: Inhalation der Pilzsporen
- Vorkommen: Südwesten der USA (Arizona, New Mexico) , Zentral- und Südamerika
- Risiko: Immunsuppression (HIV, Organtransplantation, Therapie mit Steroiden oder TNF-Inhibitoren), Schwangerschaft, Kindesalter
- Inkubationszeit: 1–3 Wochen
- Klinisches Bild: Meist asymptomatisch oder ähnlich einer bakteriellen Pneumonie
- Pneumonie (fokal oder diffus), ggf. mit mediastinaler Lymphadenopathie oder Eosinophilie und schwerem Krankheitsgefühl
- Ggf. auch zusätzlich disseminierter Verlauf mit Meningoenzephalitis (<1%)
- Diagnose
- Kultur aus Blut oder Liquor
- Histologie eines Gewebes
- Antigen-Test
- Therapie [45]
- Indikation
- Keine Behandlung bei asymptomatischem Verlauf oder isolierter Pneumonie bei Immunkompetenten
- Behandlung bei schwerer pulmonaler oder disseminierter Erkrankung oder Risikofaktor
- Durchführung
- Therapie mit Fluconazol [42] oder Itraconazol [46], bei Therapieversagen (liposomales) Amphotericin B
- Therapiedauer 3–6 Monate, je nach Organbefall und Immunsuppression auch dauerhaft
- Erhaltungstherapie bei Personen mit HIV bis CD4+-T-Zell-Zahl >250/μL
- Arzneimittelinteraktion der ART und der Triazole beachten!
- Indikation
- Prävention: Vermeidung der Inhalation kontaminierter Stäube in endemischen Gebieten
Histoplasmose („Cave Disease“) [13][15][38]
- Definition: Überwiegend in feucht-warmen Gebieten vorkommende Infektionserkrankung mit dem Pilz Histoplasma capsulatum, die als selbstlimitierende Pneumonie oder insb. bei Immunsupprimierten auch als schwere, disseminierte Infektion verlaufen kann
- Epidemiologie: Endemisches Auftreten in den USA (zentral, Ohio, Mississippi River Valley, Puerto Rico), Südamerika, Afrika, Asien
- Erreger: Histoplasma capsulatum (dimorpher Pilz)
- Ätiologie
- Übertragung: Inhalation der Sporen
- Risiko für schweren Verlauf: Hohes Alter, Immunsuppression (meist HIV, auch nach Organtransplantation, Therapie mit Steroiden oder TNF-Inhibitoren)
- Klinisches Bild: Meist asymptomatisch bis grippeartiger Verlauf (B-Symptomatik, Hepatosplenomegalie)
- Pulmonale Manifestation : Husten, Dyspnoe, Brustschmerz
- Gastrointestinale Manifestation: Diarrhö, abdominelle Schmerzen
- ZNS-Befall (Meningitis): Kopfschmerz, Krampfanfälle, fokal neurologische Defizite
- Disseminierte Infektion
- Diagnostik
- CT-Thorax/Röntgen-Thorax
- Direkter Erregernachweis: Kultur, Mikroskopie, Antigennachweis oder molekulargenetischer Nachweis (PCR) aus Blut, Urin, Flüssigkeit aus BAL, Liquor (je nach Symptomatik)
- Biopsie: Histopathologischer Nachweis einer granulomatösen Entzündung
- Differenzialdiagnosen: Radiologisch und klinisch ähnlich wie eine Miliartuberkulose
- Therapie [15][47]
- Milde bis moderate Pneumonie: Keine Therapie, insb. bei Symptomatik ≤4 Wochen und fehlender Immunsuppression
- Disseminierte weniger schwere Erkrankung: Itraconazol [46]
- Disseminierte schwere Erkrankung: Liposomales Amphotericin B [39]
- Erhaltungstherapie: Itraconazol [46]
- Meningitis: Liposomales Amphotericin B [39]
- Erhaltungstherapie: Itraconazol [46]
- Zusätzlich: Steroide erwägen (insb. bei kritischer, respiratorischer Erkrankung)
- Prävention: Inhalation kontaminierter Stäube in Endemiegebieten vermeiden (insb. in der Nähe von Vögeln, Fledermäusen)
- Prophylaxe: Bei Personen mit HIV und CD4+-T-Zell-Zahl <150/μL in Endemiegebieten mit Itraconazol
Talaromykose [13][15][48]
- Definition: Invasive Mykose bei Immunsuppression (v.a. HIV-Infektion) mit kutanen und pulmonalen Manifestationen, die durch den Pilz Talaromyces marneffei verursacht wird und in Südostasien auftritt, früher: Penicilliose
- Erreger: Talaromyces marneffei (früher: Penicillium marneffei)
- Ätiologie
- Vorkommen: Südostasien
- Risiko: Immunsuppression (insb. HIV mit CD4+-T-Zellen ≤10/μL)
- Klinisches Bild
- Allgemeinsymptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie
- Husten und Hämoptysen
- Hautmanifestationen
- Seltener disseminierte Verläufe
- Diagnostik: Erregernachweis per Mikroskopie, Kultur (Blut, Knochenmark, Sputum oder Biopsat), Antigennachweis (Blut, Flüssigkeit aus BAL, Urin) oder PCR
- Therapie [15]
- Moderate Talaromykose: Itraconazol für 8 Wochen
- Schwere/disseminierte Talaromykose: Liposomales Amphotericin B für 2 Wochen, dann Itraconazol für 10 Wochen
- Sekundärprophylaxe: Itraconazol bis CD4+-T-Zellen ≥100/μL und Viruslast unter Nachweisgrenze für ≥6 Monate
- Prognose: Letalität ca. 30%
Mikrosporidiose [13]
- Definition: Infektionserkrankung durch intrazelluläre Pilze, die zu Diarrhö bei Immunsuppression führen können (insb. bei HIV-Infektion mit CD4+-T-Zellen ≤50/μL)
- Klinisches Bild: (Wässrige) Diarrhö ± abdominelle Krämpfe, Übelkeit/Erbrechen, seltener mit Gallengangsbeteiligung
- Diagnostik: Stuhlmikroskopie (in erfahrenem Labor)
Progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML, JC-Virus-Infektion) [13][25]
- Definition: Infektionserkrankung des ZNS durch Reaktivierung des JC-Virus, die mit progredienten sensomotorischen Defiziten und Wesensveränderung einhergeht und bei Immunsuppression auftritt (insb. bei HIV, Natalizumab-Therapie)
- Ätiologie
- Erreger: Weltweit verbreitetes JC-Virus mit hoher Durchseuchungsrate
- Risiko: Dauerhafte Suppression der zellulären Immunität (HIV , Therapie mit immunsupprimierenden Antikörpern wie z.B. Natalizumab)
- Klinisches Bild: Symptomatik ist abhängig von der Lokalisation der ZNS-Herde, wobei vielfältige motorische, sensorische und kognitive Störungen typisch sind
- Fokal-neurologische Symptome: Hemiparesen, Sensibilitätsstörungen, Aphasie, Ataxie
- Wesensveränderung
- Diagnostik [49]
- MRT: Disseminierte Demyelinisierungsherde im ZNS
- Liquor: PCR zum Nachweis von JC-Virus-DNA (nur in darin erfahrenen Laboren)
- Hirnbiopsie: In Einzelfällen, bei negativer PCR und Ausschluss anderer Erkrankungen
- Durchführung: Histologie, IHC, Elektronenmikroskopie
- Befund: Demyelinisierung der Axone, vergrößerte und dysmorphe Oligodendrozyten und Astrozyten sowie intranukleäre Einschlusskörper
- Therapie
- Optimierung der antiretroviralen Therapie (zur Verbesserung des Immunstatus)
- Ggf. Teilnahme an experimentellen Studien [50]
- Prognose: Immunrekonstitution kann zu Teilremission und Stabilisierung über Jahre führen, hohe Letalität
Blutstrominfektion mit nicht-typhoiden Salmonellen (Salmonellen-Septikämie) [13][38]
- Definition: Blutstrominfektion mit nicht-typhoiden Salmonellen als Komplikation einer bakteriellen Durchfallerkrankung bei Immunsupprimierten (insb. HIV-infizierte Kinder in Subsahara-Afrika)
- Erreger: Salmonella enterica
- Klinisches Bild: Fieber und Schüttelfrost, dazu ggf. ≥6 flüssige Stühle und/oder blutige Stühle, seltener auch mit Absiedlungen der Erreger
- Diagnostik: Blut- und Stuhlkultur inkl. Resistogramm , ggf. PCR aus Stuhl
- Differenzialdiagnostik: Diarrhö als UAW der ART, andere intestinale bakterielle Infektionen
- Therapie
- Ciprofloxacin [51]
- Alternative: Ceftriaxon [52]
- Prävention: Vermeidung fäkal-oraler Übertragung durch Hygienevorkehrungen
- Sekundärprophylaxe: Effektive ART, ggf. Ciprofloxacin
Alle HIV-Patient:innen mit Salmonellose sollten aufgrund einer erhöhten Mortalität eine Antibiotikatherapie erhalten!
Bazilläre Angiomatose [13][15][38]
- Definition: Bakterielle Infektionskrankheit verursacht durch Bartonellen mit kutanen Noduli und systemischen Manifestationen, die überwiegend bei HIV-Infizierten mit CD4+-T-Zellen ≤50/μL auftritt
- Erreger: Bartonella henselae, Bartonella quintana, siehe auch: Bartonellen
- Klinisches Bild
- Kutan: Rötliche bis blau-livide Noduli und Papulae (pseudoneoplastische Gefäßläsionen)
- Weitere Organmanifestationen: Insb. Schleimhäute, Leber (bazilläre Peliosis hepatis ), Milz, Lymphknoten, Knochen (Osteomyelitis ), Endokard und selten auch das ZNS
- Diagnostik
- Kultur und PCR aus Blut oder Biopsiematerial
- Biopsie mit histopathologischer bzw. mikrobiologischer Aufarbeitung
- Antikörperdiagnostik
- Differenzialdiagnosen: Kaposi-Sarkom, Hämangiom, Granuloma pyogenicum, Verruga peruana
- Therapie: Erythromycin oder Doxycyclin oder Clarithromycin
- Therapiedauer: Bis zur Ausheilung, mind. 4–8 Wochen
- Prävention: Kratzwunden von Katzen vermeiden , ggf. Läuse behandeln
- Prognose
- Untherapiert: Spontane Regression bis fulminante Verläufe
- Therapiert: Sehr günstig, meist mit Restitutio ad integrum
HIV-assoziierte Komplikationen
Übersicht [13][15]
- Wasting-Syndrom
- HIV-1-assoziiertes neurokognitives Defizit inkl. HIV-assoziierter Demenz
- HIV-Polyneuropathie
- HIV-assoziiertes kardiovaskuläres Risiko
Wasting-Syndrom [13]
- Klinisches Bild
- Ungewollte Gewichtsabnahme von >10% des ursprünglichen Körpergewichts in den letzten 6 Monaten
- Für mind. 30 Tage Diarrhö ohne infektiöse Ursache
- Ggf. generalisiertes Schwächegefühl, Fieber
- Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Ausschluss anderer Ursachen des Gewichtsverlustes ist obligat, insb.
- Opportunistische Infektionen
- ART-assoziierte Diarrhö
- Andere: Malignome, Depressionen
- Therapie: Supportiv, Ernährungstherapie
HIV-1-assoziiertes neurokognitives Defizit (HAND)
- Veraltetes Synonym: HIV-Enzephalopathie
- Definition: Chronische Verschlechterung der Kognition aufgrund einer durch das HI-Virus verursachten neuronalen Schädigung
- Risikofaktoren
- Allgemein: Höheres Alter, niedriger Bildungsgrad
- HIV-assoziiert: CD4+-T-Zellen↓, Viruslast↑, lange bestehende HIV-Infektion
- Häufigkeit: 20–50% aller Personen mit HIV
- Stadien
- Asymptomatische neurokognitive Beeinträchtigung
- Mildes neurokognitives Defizit
- HIV-assoziierte Demenz
- Klinisches Bild: Motorische, kognitive und emotionale Einschränkungen bis hin zu Demenz, spastischer Tetraparese und Mutismus
- Diagnostik: Ausschluss anderer Ursachen und Sicherung des neuropsychologischen Defizits
- Anamnese und neuropsychologische Testung: Defizit >1 Monat
- Liquorpunktion: Oft hohe Viruslast , Ausschluss anderer Ursachen
- MRT: Befund mit diffusen Hyperintensitäten der weißen Substanz (ohne Kontrastmittelaufnahme), zerebraler Atrophie und Ventrikelvergrößerung
- Histopathologie: Mehrkernige, durch Fusion HIV-infizierter Monozyten entstandene Riesenzellen
- Therapie: ART mit liquorgängigen Substanzen , ggf. unter Kontrolle der Viruslast im Liquor
- Prognose
Ein Screening auf neurokognitive Defizite wird für alle HIV-Infizierten vor Therapiebeginn und in regelmäßigen Abständen (alle 6–12 Monate) empfohlen!
HIV-Polyneuropathie
- Erscheinungsformen
- HIV-assoziierte distal-symmetrische, vorwiegend sensible, oft schmerzhafte Polyneuropathie, ggf. mit leichten Paresen
- HIV-assoziierte vaskulitische Polyneuropathie
- ART-induzierte sensible Polyneuropathie
- Diagnostik
- Genaue Anamnese der bisherigen antiretroviralen Therapie
- Siehe: Syndromatische Zuordnung der Polyneuropathien und Ätiologische Zuordnung der Polyneuropathien
- Therapie: HIV-Infektion - Therapie, symptomatische Therapie der Polyneuropathie
HIV-assoziiertes kardiovaskuläres Risiko [53][54][55]
- Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen: Höher als in der übrigen Bevölkerung
- Risikofaktoren
- Klassisch: Hohe Prävalenz bei HIV-Infizierten, z.B. Tabakkonsum
- HIV-assoziiert: Direkte HIV-Wirkung (z.B. HIV-assoziierte pulmonal-arterielle Hypertonie) , indirekt durch Infektionen , Mangelernährung und Koinfektionen
- Therapie-assoziiert: Nebenwirkungen einiger Medikamente der ART , einer Chemo- oder Strahlentherapie
- Prävention
- Äquivalent zu Personen ohne HIV , (siehe: Kardiovaskuläre Prävention)
- Arzneimittelinteraktionen mit der ART beachten
Infolge der erhöhten kardiovaskulären Sterblichkeit sind Screenings auf und Behandlung von Risikofaktoren ein wichtiger Teil der HIV-Behandlung!
HIV-assoziierte Malignome
Übersicht [56][57]
- Bei Personen mit HIV sind Malignome (trotz ART) häufiger als in der Allgemeinbevölkerung
- Betroffene Malignome
-
AIDS-definierende Malignome
- Kaposi-Sarkom (am häufigsten)
- Aggressive B-Zell-Lymphome (am zweithäufigsten)
- Invasives Zervixkarzinom
- Nicht-AIDS-definierende Malignome
-
AIDS-definierende Malignome
Trotz adäquater Behandlung der HIV-Infektion ist das Risiko für AIDS-definierende und nicht-AIDS-definierende Malignome wie B-Zell-Lymphome und Bronchialkarzinome erhöht!
Kaposi-Sarkom [58][59]
- Definition: Seltene, maligne Gefäßerkrankung insb. der Haut und Schleimhäute (seltener des lymphatischen Systems, der Lunge oder des Gastrointestinaltrakts), die bei Immunsuppression v.a. im Rahmen einer HIV-Infektion auftritt
- Ätiologie: HHV-8
- Epidemiologie: Häufigstes AIDS-assoziiertes Malignom
- Epidemisches HIV-assoziiertes Kaposi-Sarkom (häufigster Subtyp)
- Iatrogen immunsuppressiv bedingtes Kaposi-Sarkom
- Klassisches Kaposi-Sarkom
- Endemisches Kaposi-Sarkom
- Kaposi-Sarkom bei MSM ohne HIV-Infektion
- Klinisches Bild: Variabler Verlauf
- Multiple Tumoren: In 90% initialer Befall der Haut und Schleimhäute
- Rötlich-bläuliche, livide verfärbte singuläre Knoten bis hin zu konfluierenden großen Plaques
- Auftreten meist initial an den distalen Extremitäten und entlang der Hautspaltlinien
- Lymphödeme , Ulzera
- Im Verlauf Organbefall möglich
- Multiple Tumoren: In 90% initialer Befall der Haut und Schleimhäute
- Diagnostik
- Diagnosesicherung: Hautbiopsie
-
Staging: Körperliche Untersuchung, Röntgen-Thorax, Abdomen-Sonografie
- Bei V.a. Organmanifestation: Weitere Diagnostik
- HIV-Test anbieten und zellulären Immunstatus bestimmen
- Differenzialdiagnostik
- Akroangiodermatitis bei chronischer Veneninsuffizienz
- Hämangiome, Angiosarkome
- Bazilläre Angiomatose
- Melanommetastasen
- Therapie: Zur Krankheitskontrolle, abhängig von Subtyp, Ausbreitung, Wachstum, Symptomen und Verlauf
- Bei Immunsuppression: Optimierung des Immunstatus
- Watch & wait: Bei kleinen Läsionen
- Lokale Therapie: Bei kleineren, singulären Läsionen oder ergänzend zu bzw. bei fehlender Möglichkeit der systemischen Therapie
- Systemische Therapie: Bei infiltrativem, rasch progredientem Wachstum oder Beteiligung von Schleimhäuten,