Abstract
Bei der Myasthenia gravis (MG) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung mit Störung der Signalübertragung an der Synapse zwischen Neuron und Muskel (an der sog. motorischen Endplatte). Hierbei werden die Rezeptoren für Acetylcholin auf der postsynaptischen Seite von Antikörpern blockiert und auch langfristig zerstört, sodass bei wiederholter Reizung die Reizantwort stetig kleiner ausfällt (sog. Dekrement). Das führt bei den Patienten zu einer unnatürlichen Ermüdbarkeit der Muskulatur, die sich erst nach Schonung wieder erholt. Die MG geht oft mit Veränderungen des Thymus einher, eine Thymektomie ist bei vielen Patienten sinnvoll. Die symptomatische Therapie mit Cholinesterasehemmern erhöht die Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt. Durch Immunsuppressiva kann zusätzlich die Antikörperbildung reduziert werden. Dadurch wird häufig eine Remission erreicht. Eine relativ seltene, aber potenziell tödliche Komplikation der Myasthenia gravis ist die myasthene Krise, bei der es zur abrupten Verschlechterung der Symptomatik kommt.
Epidemiologie
- Inzidenz: 0,2–2,0 Fälle/100.000 Einwohner pro Jahr
- Prävalenz: Etwa 15/100.000 Einwohner [1]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (3:2)
- Alter
- In jedem Alter möglich (auch Kinder, 10% der Fälle)
- Zwei Häufigkeitsgipfel
- 30–40 Jahre (mehr Frauen)
- 60–80 Jahre (mehr Männer)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Autoimmunerkrankung: Die Myasthenia gravis ist i.d.R. durch eine Produktion von Autoantikörpern gegen den postsynaptischen Acetylcholinrezeptor gekennzeichnet
- Ätiologische Faktoren
- Thymusveränderungen: Bei den meisten Patienten sind eine Thymushyperplasie oder ein Thymom (Myasthenia gravis als Paraneoplasie) nachweisbar, dabei kommen (für den Thymus sonst untypische) Sekundärfollikel und B-Lymphozyten vor .
- Assoziation mit Autoimmunerkrankungen: Insb. Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, Sarkoidose, systemischer Lupus erythematodes
- Auftreten nach Stammzelltransplantation: In Einzelfällen tritt eine Myasthenia gravis als Graft-versus-Host-Krankheit nach hämatoonkologischer Transplantationen von Stammzellen auf .
Klassifikation
Nach Antikörperserologie
- Seropositive Variante (85% der Fälle)
- Acetylcholinrezeptor-Antikörper
- MuSK-Antikörper
- LRP4-Antikörper
- Agrinantikörper
- Seronegative Variante (15% der Fälle)
Nach Klinik
Einteilung der Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA), modifiziert nach Ossermann | |
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I: Okuläre Myasthenie |
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II–V: Generalisierte Myasthenie |
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Nach klinisch-pathogenetischen Gesichtspunkten
- Early-Onset Myasthenia gravis (EOMG)
- Häufigkeit: 20%
- Alter: <50 Jahre, insb. Frauen
- Verlauf: Generalisiert
- Auto-Antikörper: Anti-AChR-Antikörper
- Thymus: Hyperplasie, Thymektomie mit gutem Effekt bei früher Durchführung
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
- Late-onset Myasthenia gravis (LOMG)
- Häufigkeit: 45%
- Alter: ≥50 Jahre, insb. Männer
- Verlauf: Generalisiert
- Auto-Antikörper: Anti-AChR-Antikörper, Anti-Titin-Antikörper, Anti-RyR-Antikörper
- Thymus: Atrophie
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
- Thymom-assoziierte Myasthenia gravis (TAMG)
- Häufigkeit: 15%
- Alter: Meist 40–60 Lebensjahr, beide Geschlechter gleichmäßig betroffen
- Verlauf: Generalisiert
- Auto-Antikörper: Anti-AChR-Antikörper, Anti-Titin-Antikörper, Anti-RyR-Antikörper, Anti-TRPC2-Antikörper, Anti-IL12-Antikörper, Anti-IFNα-Antikörper, Anti-IFNγ-Antikörper
- Thymus: Thymom, Thymektomie notwendig, häufig mit unzureichender Symptombeeinflussung
- Immuntherapie: Schlechteres Ansprechen
- Anti-MuSK-AK-assoziierte Myasthenia gravis (MAMG)
- Häufigkeit: 5%
- Alter: Häufig jüngere Patienten, insb. Frauen
- Verlauf: Generalisiert, Gesichts- und Schlundmuskulatur schwerpunktmäßig betroffen
- Auto-Antikörper: Anti-MuSK-AK
- Thymus: Unauffällig, Thymektomie nicht indiziert
- Immuntherapie: Schlechteres Ansprechen
- Okuläre Myasthenia gravis (OMG)
- Häufigkeit: 15%
- Alter: Jedes Lebensalter, insb. Frauen
- Verlauf: Okulär
- Auto-Antikörper: Anti-AChR-AK (50–70%)
- Thymus: Fehlende Daten
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
Pathophysiologie
Autoantikörper → Bindung und Blockade postsynaptischer Acetylcholinrezeptoren → Bei Ausschüttung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt abgeschwächte neuromuskuläre Übertragung → Zusätzliche Entleerung (Depletion) der präsynaptischen Acetylcholinspeicher bei repetitiven Reizen → Weitere Abschwächung der neuromuskulären Übertragung (Korrelat: Dekrement im ENG) → Mittelfristig Destruktion der postsynaptischen ACh-Rezeptoren durch Komplementaktivierung → Langfristig struktureller Umbau der postsynaptischen Membran und Verbreiterung des synaptischen Spaltes
Symptome/Klinik
- Okuläre Muskulatur: Ein- oder beidseitige Ptosis, Diplopie , wechselnde Augenmuskelparesen
- Bulbäre Muskulatur: Dysarthrie, Dysphagie und schlaffe Gesichtszüge (sog. Facies myopathica)
- Skelettmuskulatur
- Proximal betonte Schwäche der Extremitäten
- Häufig Kopfhalteschwäche
- In schweren Fällen Schwäche der Atemhilfsmuskulatur mit Dyspnoe
- Klinische Hinweise: Patienten beklagen meist Doppelbilder sowie Schluck- und Sprechbeschwerden, da häufig zuerst äußere Augenmuskulatur sowie Lidheber, Kau- und Schlundmuskulatur ermüden
- Fluktuation der Symptomatik: Die Symptomatik tritt vor allem bei wiederholter Beanspruchung auf und nimmt häufig im Tagesverlauf, bei Infekten, während der Menstruation und in Stresssituationen zu
- Keine Sensibilitätsstörungen
- Erhaltene Muskeleigenreflexe
- Muskelatrophien im Verlauf möglich
Hauptsymptom ist die unnatürliche Ermüdbarkeit der Muskulatur!
Stadien
Siehe Abschnitt Klassifikation: Einteilung der Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA)
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Belastungstests: Einfache aber aussagekräftige Muskelbelastungstests zur Aufdeckung und Graduierung klinischer Symptome
- Simpson-Test: Beim Aufwärtsblick über eine Minute wird eine Ptosis provoziert
- Halteversuche der Arme , der Beine und des Kopfes : Bei positivem Testbefund vorzeitiges Absinken
- Eistest: Verbesserung der Symptomatik durch Kälte (z.B. in Form von Eispacks)
Besinger-Score zur Verlaufsdokumentation des klinischen Befundes | ||||
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Symptomausprägung und zu vergebende Punkte | Normal (0) | Leicht (1) | Mittel (2) | Schwer (3) |
Armhaltezeit (90° im Sitzen oder Stehen) | >180 s | 60–180 s | 10–60 s | <10 s |
Beinhaltezeit (45° im Liegen) | >45 s | 30–45 s | 5–30 s | <5 s |
Kopfhaltezeit (45° in Rückenlage) | >90 s | 30–90 s | 5–30 s | <5 s |
Vitalkapazität | 4 l (♂), 3 l (♀) | 2,5–4 l (♂), 2–3 l (♀) | 1,5–2,5 l (♂), 1,2–2 l (♀) | |
FEV1 | >90 % | 60-90 % | 40-60 % | <40 % |
Kauen/Schlucken | Normal | Ermüdung bei fester Nahrung | Nur weiche Nahrung | Magensonde |
Mimik | Normal | Schwacher Lidschluss | Inkompletter Lidschluss | Keine Mimik |
Zeit bis zum Auftreten von Doppelbildern (Blick zur Seite) | >60 s | 10–60 s | 1–10 s | Spontan |
Zeit bis zum Auftreten einer Ptosis (bei Aufwärtsblick) | >60 s | 10–60 s | 1–10 s | Spontan |
Berechnung und Auswertung |
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Pharmakologische Testung
- Testprinzip: Prüfung der Verbesserung einer manifesten myasthenen Symptomatik nach Verabreichung eines Cholinesterasehemmers
- Edrophoniumtest (ehemals Tensilontest )
- Wirkstoff: Edrophoniumchlorid (kurzwirksamer Cholinesterasehemmer)
- Durchführung
- Venösen Zugang legen
- Notfallkoffer in Reichweite
- Aufziehen von Edrophoniumchlorid
- Aufziehen von Atropin , Gabe bei Auftreten muskarinerger Nebenwirkungen (Bradykardie, hypotoner Kreislaufreaktion oder Bronchospasmen)
- Gabe einer Testdosis Edrophoniumchlorid (2 mg, entsprechend 2 mL), bei guter Verträglichkeit nach jeweils einer Minute fraktionierte Gabe von 3 mg (entspricht 3 mL) und dann 5 mg (entspricht 5 mL)
- Ggf. Fotodokumentation nach Wirkeintritt
- Effekt: Verbesserung der Symptomatik binnen 30–60 s nach Injektion, sofern eine Störung der neuromuskulären Übertragung vorliegt
- Kontraindikationen: Bradykarde Herzrhythmusstörungen, Asthma bronchiale
- Pyridostigmintest
- Wirkstoff: Pyridostigmin (Cholinesterasehemmer)
- Indikation: Ältere Patienten, in ambulanter Praxis, keine Verfügbarkeit von Edrophonium
- Durchführung
- Orale Gabe von Pyridostigmin
- Ggf. Fotodokumentation nach Wirkeintritt
- Effekt: Orale Gabe von Pyridostigmin führt zur Besserung der myasthenen Symptomatik nach 45–60 min
Labordiagnostik
Serologie
- Basisdiagnostik: Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR-AK)
- Positiv bei etwa 50% der Patienten mit okulärer Myasthenie
- Positiv bei etwa 90% der Patienten mit generalisierter Myasthenie
- Positiv bei fast 100% der Patienten mit paraneoplastischer Myasthenie bei Thymom
- Diagnostik bei negativen Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörpern
- Antikörper gegen muskelspezifische Tyrosinkinase (Anti-MuSK-AK)
- Antikörper gegen Lipoprotein-related Protein 4 (Anti-LRP4-AK), Antikörper gegen Agrin (Anti-Agrin-AK)
- Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK)
- Keine routinemäßige Bestimmung: Antikörper gegen Titin (Anti-Titin-AK)
Sonstige Labordiagnostik
- Routinelabordiagnostik: Kleines Blutbild, CRP, Elektrolyte, Schilddrüsenhormone
- Ggf. nach klinischer Konstellation zusätzlich
- Weitere Autoantikörper: Ggf. spezifische Antikörper bei Verdacht auf assoziierte Autoimmunerkrankungen (vor allem Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis)
- Molekulargenetische Diagnostik: Ausschluss eines kongenitalen myasthenen Syndroms (sehr selten)
- Liquordiagnostik: Ausschluss entzündlicher ZNS-Erkrankungen
Elektrophysiologische Diagnostik
- Serienstimulation
- Befund: Dekrement
- Durchführung
- Mehrminütige Ruhezeit nach vorheriger muskulärer Beanspruchung
- Fixierung der zu untersuchenden Muskeln
- Repetitive supramaximale Reizung mit 3Hz, 5–10 Reize
- Ableitung mit Oberflächenelektroden
- Wiederholung bei grenzwertigen Befunden
- Kombination mit Edrophoniumtest möglich
- Reiz- und Ableitungsort (Auswahl)
- Befundung: Jedes Dekrement ist als pathologisch anzusehen
- Amplitudenreduktion >8 % zwischen der Amplitude der 1. Reizantwort und der niedrigsten Amplitude der 2. bis 5. Reizantworten
- Differenzialdiagnosen bei pathologischem Dekrement
- Einzelfaser-EMG
- Befundung: Erhöhter Jitter als pathologischer Befund feststellbar
Bildgebung
- Bei Verdacht oder Nachweis einer Myasthenia gravis
- CT oder MRT mit Kontrastmittel zur Darstellung von Thymusveränderungen
- Ein Thymom zeigt sich i.d.R. als solide kontrastmittelaufnehmende Raumforderung im vorderen Mediastinum
- CT-Befund
- Benignes Thymom
- Homogene, scharf begrenzte runde/ovale Struktur
- In der Regel solide; selten sind zystische Anteile erkennbar
- Invasives Thymom und Thymuskarzinom
- Unscharf begrenzte Struktur mit Infiltration benachbarter Organe
- Indirekte Zeichen wie Lymphknotenvergrößerung, Pleura- und Perikardverdickungen und Ergussbildung
- Benignes Thymom
- Bei Verdacht auf Thymomrezidiv: 18Fluorodeoxyglucose-PET/PET-CT
- Bei ausschließlich okulären oder okulopharyngealen Symptomen (sowie negativen serologischen und elektrophysiologischen Befunden): cMRT zum Ausschluss von Läsionen und Raumforderungen
Differenzialdiagnosen
Die Myasthenia gravis geht häufig mit klinisch wegweisenden Befunden einher. Isolierte Augenbewegungsstörungen oder Lidschwäche können aber beispielsweise eine weiterführende Diagnostik notwendig machen
Andere Störungen der neuromuskulären Übertragung
- Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom
- Arzneimittel-induzierte Myasthenie
- Kongenitale myasthene Syndrome
- Botulismus
Myopathien
- Okulopharyngeale Muskeldystrophie (OPMD)
- Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie
Affektionen der Hirnnerven III, IV oder VI (bei rein okulären Symptomen)
- Raumforderungen im Verlauf des Nerven
- Miller-Fisher-Syndrom
- Zusätzlich zu Augenmuskellähmungen treten bei dieser Variante des Guillain-Barré-Syndroms auch Schluckstörungen auf.
- Ataktische Störungen sowie Parästhesien der distalen Extremitäten ermöglichen eine klinische Abgrenzung zur Myasthenie.
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Andere myasthene Syndrome
Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS, Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom)
- Ätiologie
- Paraneoplastisch, insbesondere (50-80%) bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen, aber auch bei anderen malignen Tumorerkrankungen (etwa Prostatakarzinom, Lymphome)
- Idiopathisch bzw. autoimmun (häufig mit Autoimmunerkrankungen wie einer Hashimoto-Thyreoiditis oder Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises assoziiert)
- Pathophysiologie: Präsynaptische Störung durch pathognomonische Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK) → Verminderte exozytotische Freisetzung von Acetylcholin → Verminderte Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt → Geringere Bindung an die intakten postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren → Verringerte Muskelaktionspotenziale → Muskuläre Schwäche
- Bildung der Antikörper als Immunreaktion auf die Tumorerkrankung (paraneoplastisch) bzw. aus unbekannter Ursache (idiopathisch)
Klinik
-
Belastungsabhängige proximal-betonte Schwäche der Extremitäten, vor allem morgens
- Abgrenzung zur Myasthenia gravis: Keine Doppelbilder, Ptose und Schluckstörungen oder erst spät
- Vegetative Störungen wie Mundtrockenheit, Harnverhalt, Hypohidrosis, erektile Dysfunktion und Obstipation
- Auftreten der myasthenen Symptomatik i.d.R. vor etwaigen Symptomen des auslösenden Tumorleidens
Diagnostik
- Labordiagnostik
- Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK): Bei 85% der Patienten
- Antikörper gegen den Transkriptionsfaktor SOX1 (Anti-SOX1-AK): Bei 65% der Patienten mit paraneoplastischem LEMS, nur bei 5% mit idiopathischem LEMS
- Kein Nachweis von Antikörpern gegen den Acetylcholinrezeptor
- Edrophonium- oder Pyridostigmintest: Nicht obligat, häufig negativ
- Serienstimulation
- Befund: Zunächst Amplitudendekrement der Muskelsummenaktionspotenziale bei niederfrequenter Stimulation, dann Amplitudeninkrement nach Willkürkontraktion
- Durchführung
- Supramaximale Einzelstimulation eines peripheren Nerven und Ableitung des Muskelsummenaktionspotenzials vom innervierten Muskel: Erniedrigte Ausgangsamplitude
- Tonische Willkürkontraktion des zu untersuchenden Muskels über einige Sekunden
- Erneute Einzelstimulation: Amplitudeninkrement >60 % im Vergleich zur Voruntersuchung (Fazilitierung)
- Auf die schmerzhafte Serienstimulation mit Frequenzen von über 30Hz (positiver Befund: Amplitudeninkrement) kann in der Regel verzichtet werden
- Bildgebung
Therapie
- Paraneoplastisches LEMS
- Onkologische Behandlung der Tumorerkrankung (z.B. mit Radiochemotherapie, Operation)
- Symptomatische Therapie mit Amifampridin oder Pyridostigmin (siehe unten)
- Immunsuppressiva: In Einzelfällen bei Syndrompersistenz nach Tumortherapie
- Autoimmunes LEMS
- Amifampridin (3,4-Diaminopyridin): Symptomatische Therapie
- Wirkmechanismus: Blockade von spannungsabhängigen Kaliumkanälen → Verlängerung der präsynaptischen Depolarisation → Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration → Verstärkung der Acetylcholinfreisetzung aus präsynaptischen Vesikeln → Steigerung der neuromuskulären Überleitung → Verbesserung der Muskelkraft
- Therapiemonitoring: Regelmäßige EKG-Kontrollen; Nieren- und Leberparameter sowie Blutbild aufgrund des toxischen Potenzials
- Interaktionen: Zahlreiche Wechselwirkungen (insb. Antidepressiva, atypische Antipsychotika, Theophyllin)
- Kontraindikationen
- Epilepsie
- Therapeutisch schwer einstellbares Asthma bronchiale
- Long-QT-Syndrom
- Medikamente mit Möglichkeit einer QT-Zeit-Verlängerung
- Häufige unerwünschte Wirkungen: Parästhesien, gastrointestinale Beschwerden, Schwindel, Hyperhidrosis
- Pyridostigmin: In Einzelfällen symptomatisch wirksam
- Immunsuppressive Therapie: Indiziert bei ungenügendem Ansprechen auf Amifampridin
- Kombinationstherapie mit Glucocorticoiden und Azathioprin wie bei Myasthenia gravis
- Andere Immunsuppressiva in Einzelfällen
- Nicht indiziert: Thymektomie
- Amifampridin (3,4-Diaminopyridin): Symptomatische Therapie
Kongenitale myasthene Syndrome (CMS)
- Definition: Sehr seltene Störungen der prä- oder postsynaptischen neuromuskulären Übertragung infolge verschiedener Gendefekte
- Klinik
- Leitsymptom ist die abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur
- Phänotypisch sehr heterogen
- Diagnose
- Die Diagnose wird i.d.R. im Säuglings- oder Kindesalter gestellt, Manifestationen im Erwachsenenalter sind selten
- Ausschluss einer Myasthenia gravis (AChR-AK und MuSK-AK negativ)
- Elektroneurografie mit repetitiver Stimulation
- Molekulargenetische Diagnostik
- Therapie
- Symptomatisch (Therapieversuche etwa mit Pyridostigmin, 3,4-Diaminopyridin)
- Supportive Therapie je nach klinischem Bild
- Prognose: Heterogen, blande Verläufe mit geringer Schwäche nach starker Belastung bis hin zum Tod im Kleinkindalter
Neonatale Myasthenie
- Definition: Myasthenie bei Neugeborenen infolge des plazentaren Übertritts von Autoantikörpern von an Myasthenie erkrankten Müttern
- Epidemiologie: 10–20% der Schwangerschaften von an Myasthenie erkrankten Frauen
- Klinik
- Variabel
- Hypotonie, Saugschwäche, Ptosis, respiratorische Insuffizienz
- Therapie
- Pyridostigmin p.o. oder i.v.
- Ggf. Plasmapherese und/oder maschinelle Beatmung
- Prognose
- Gut, vorübergehende Symptomatik über einige Wochen
- Im Verlauf kein erhöhtes Erkrankungsrisiko
Arzneimittel-induzierte Myasthenie
- Definition: Myasthenie infolge D-Penicillamin- oder Chloroquin-Einnahme
- Therapie
- Absetzen der auslösenden Medikation
- Gutes Ansprechen auf Cholinesterasehemmer
- Prognose: Rückbildung
Therapie
Cholinesterasehemmer
- Indikation: Basistherapie bei jeder Form der Myasthenia gravis
- Zielt auf die Bekämpfung der Erkrankungssymptome und ihrer Auswirkungen auf die Alltagskompetenz der betroffenen Patienten
- Wirkmechanismus: Reversible Blockade der ACh-Esterase → Verhinderung des Abbaus von ACh → Steigerung des ACh-Angebots im synaptischen Spalt → Verringerung der Muskelschwäche
- Pyridostigmin
- Häufige unerwünschte Wirkungen: Übelkeit, abdominelle Krämpfe, Durchfall, Miosis, Akkommodationsstörungen, Bradykardie und auch vermehrtes Schwitzen
- Überdosierung: Cholinerge Krise
- Kontraindikation
- Absolut: Mechanische Verschlüsse des Verdauungs- oder Harntraktes
- Relativ: Obstruktive Lungenerkrankungen, bradykarde Herzrhythmusstörungen, Schwangerschaft
- Verordnung
- Einschleichender Beginn mit Anpassung von Dosis und Dosierungsintervall nach therapeutischem Effekt
- Rein okuläre Myasthenie teilweise mit dauerhaft niedrigeren Dosen behandelbar
- Therapiehinweise
- Wirkeintritt: Innerhalb von 15–30 min
- Wirkdauer: ca. 3–6 h, abhängig von der körperlichen Aktivität
- Bei Schluckstörung: Einnahme 30–60 min vor den Mahlzeiten
- Individueller Bedarf: Situative Veränderungen, etwa bei Infektionen oder in Belastungssituationen
- Retardpräparate: Bei ausgeprägter Schwäche am Morgen ist in Einzelfällen die Einnahme von retardiertem Pyridostigmin am Vorabend sinnvoll
- Nebenwirkungen
- Zu Therapiebeginn sehr häufig
- Lassen im Verlauf häufig nach
- Äquivalenzdosen beachten: Bei Umstellung der Applikationsform Dosisanpassung erforderlich, z.B. entspricht 1 mg Pyridostigmin i.v. etwa 30 mg p.o.
- Remission mit Monotherapie: 10% der Patienten, in der Regel Kombination mit Immunsuppressiva notwendig
- MuSK-assoziierte MG: Vermindertes Ansprechen auf die symptomatische Therapie
- Ambenoniumchlorid
- Selten verwendetes Ausweichpräparat, insbesondere bei Unverträglichkeit von Pyridostigmin
- Im Gegensatz zu Pyridostigmin mehr zentralnervöse und weniger muskarinerge Nebenwirkungen
- Neostigmin
- Für orale Therapie in Deutschland nicht mehr verfügbar
- Edrophoniumchlorid
- Nur für diagnostische Zwecke geeignet (kurze HWZ)
- Für die Therapie nicht zugelassen
Immunsuppressiva
- Indikation: Insbesondere bei unzureichendem Ansprechen auf Cholinesterasehemmer
Glucocorticoide
- Indikation: Kurz- und mittelfristige Immunsuppression bei MG als Mono- oder Kombinationstherapie (mit Azathioprin)
- Eintritt der Wirkung : Innerhalb von 2 bis 3 Wochen
- Insbesondere bei schneller Eindosierung ist eine passagere Verschlechterung der myasthenen Symptome, gelegentlich bis zu einer myasthenen Krise, innerhalb einer Woche möglich
- Kombination mit Azathioprin: Die Kombination erlaubt in der Regel eine Reduktion der Glucocorticoiddosierung
- Verordnung
- Langsame Eindosierung
- Bei milden Verläufen
- Langsamer Wirkeintritt
- Schnelle Eindosierung: Bei ausgeprägterer Symptomatik ohne schwere bulbäre Symptomatik
- Nach gutem Ansprechen vorsichtige Dosisreduktion
- Langsame Eindosierung
- Wichtige unerwünschte Wirkungen
- Siehe: Glucocorticoid-Nebenwirkungen
- Prophylaxe der Osteoporose und der Ulkuskrankheit bedenken
Azathioprin
- Indikation: Mittel- und langfristige Immunsuppression als Mono- oder Kombinationstherapie (mit Glucocorticoiden)
- Verordnung
- Therapiebeginn in höherer Dosierung
- Erhaltungstherapie: Langsame Reduktion von Azathioprin auf niedrigste noch wirksame Dosis
- Therapiekontrolle
- Großes Blutbild wöchentlich in den ersten beiden Therapiemonaten, monatlich im folgenden halben Jahr und dann vierteljährlich
- Zielgrößen
- Leukozyten 3500–4000/μL
- Lymphozyten 500–1000/μL
- Zielgrößen
- Monatlich Leberparameter , Kreatinin
- Therapieabbruch bei
- Leukopenie < 3000/μL
- Granulopenie < 2000/μL
- Thrombozytopenie < 100.000/μL
- Allergischen Reaktionen
- Aplastischer Anämie
- Schweren Infekten
- Großes Blutbild wöchentlich in den ersten beiden Therapiemonaten, monatlich im folgenden halben Jahr und dann vierteljährlich
- Therapiehinweise
- Gabe einer Testdosis vor Dauertherapie zum Ausschluss einer Überempfindlichkeitsreaktion
- Langsamer Wirkeintritt von mehreren Monaten
- Ausschluss einer Schwangerschaft vor Therapiebeginn und sichere Kontrazeption unter Therapie und über 6 Monate nach Therapieende
- Regelmäßige dermatologische Vorsorgeuntersuchungen und Sonnenschutz
- Wichtige unerwünschte Wirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Hepatotoxizität, Knochenmarksuppression mit Leukozytopenie, Anämie und Thrombozytopenie (Blutungen) bis hin zur Panzytopenie
- Wichtige Interaktionen: Allopurinol, Febuxostat
- Bei unzureichendem Ansprechen: Umstellung auf andere Immunsuppressiva erwägen (Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus)
Sonstige Immunsuppressiva
Die nachfolgend dargestellten Therapieoptionen (off-label) werden bei Unverträglichkeit, unzureichendem Ansprechen auf Azathioprin oder schweren Verlaufsformen in Betracht gezogen. Ihre Anwendung ist eine Einzelfallentscheidung, die spezialisierten Zentren vorbehalten sein sollte.
- Ciclosporin A
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung , Nierenretentionsparameter
- Wichtige Nebenwirkungen: (Irreversible) Niereninsuffizienz, opportunistische Infektionen, Myelosuppression, gastrointestinale Beschwerden, Kopfschmerzen, Tremor
- Cyclophosphamid
- Therapiehinweis: Zystitisprophylaxe durch ausreichendes Trinken und Urothelprotektion mit Mesna (Uromitexan®) während und nach Cyclophosphamidinfusion
- Wichtige Nebenwirkungen: Myelosuppression, Zystitis, gastrointestinale Beschwerden, Leber- und Nierenschädigung, Haarausfall, Teratogenität
- Mycophenolatmofetil (MMF)
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung , Nierenretentionsparameter
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, opportunistische Infektionen, Teratogenität
- Methotrexat (MTX)
- Therapiehinweis: Folsäuresubstitution einen Tag nach Einnahme reduziert Nebenwirkungen von Methotrexat
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Stomatitis, Myelosuppression, opportunistische Infektionen, Teratogenität
- Rituximab
- Wichtige Nebenwirkungen: Opportunistische Infektionen, Myelosuppression, toxische epidermale Nekrolyse, Infusionsreaktionen, progressive multifokale Leukenzephalopathie
- Tacrolimus
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Hyperkaliämie, Hyperglykämie, Tremor, Kopfschmerzen, Nephrotoxizität, Neurotoxizität
- Eculizumab [2][3]
- Indikation: Erwachsene mit therapierefraktärer generalisierter, Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper-positiver Myasthenia gravis
- Therapiehinweise
- Einsatz als Add-on-Therapie unter Fortführung der bestehenden Immuntherapie
- Behandlung in spezialisierten neurologischen Zentren
- Erstgabe unter stationärer Beobachtung
- Infektiologisches Monitoring empfohlen (erhöhte Infektanfälligkeit)
- Vorab Überprüfung des Meningokokken-Impfschutzes obligat
- Sorgfältige Überwachung des Therapieerfolges und Absetzen bei Nichtansprechen nach 3 Monaten
Interventionstherapie
- Indikation: Bei schweren Exazerbationen oder myasthener Krise
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG) oder Plasmapherese
- → siehe auch: Komplikationen der Myasthenia gravis)
Intravenöse Immunglobuline (IVIG)
- Prinzip: Unverstandene immunmodulatorische Effekte
- Verordnung: Therapieschemata über 2 oder 5 Tage
- Therapiehinweise
- Off-label-Therapie
- Ausschluss eines selektiven IgA-Mangels vor Therapie
- Langsame Infusionsgeschwindigkeit
- Dokumentation von Präparat und Chargennummer obligat
- In Einzelfällen auch zur Erhaltungstherapie
- Therapiehinweise
- Wichtige unerwünschte Wirkungen: Kopfschmerzen, thorakales Engegefühl, Tachykardie, grippeähnliche Symptome, selten akute Nierenschädigung oder kardiovaskuläre Ereignisse
- Kontraindikationen: Überempfindlichkeit gegen Immunglobuline, selektiver IgA-Mangel
Plasmapherese (PE)
- Prinzip: Extrakorporale Entfernung von im Plasma enthaltenen Antikörpern durch Plasmaaustausch
- Durchführung
- 4–5 Behandlungen alle 2 Tage bis zum Eintritt einer klinischen Stabilisierung
- Austausch von jeweils 30–50 mL Plasma pro kg Körpergewicht Plasma, dabei Substitution von Humanalbumin
- Zugänge in Rücksprache mit der durchführenden Abteilung
- Shaldon-Katheter bei Membranplasmaseparation
- Periphere Zugänge bei Plasmaseparation durch Zentrifugation
- Antikoagulation mit Heparin (siehe: Therapeutische Antikoagulation - klinische Anwendung)
- Therapiehinweise
- Wirkungseintritt innerhalb von 36 h zu erwarten
- Therapeutischer Effekt zeitlich begrenzt (Wochen), daher parallel Einleitung einer Immunsuppression notwendig
Immunadsorption
- Prinzip: Selektive Entfernung von IgG(-Subtypen) durch unterschiedlich beschichtete Säulen
- Durchführung: Alle 2 Tage, insgesamt 4–6 Behandlungen
- Therapiehinweise
- Keine Substitution von Plasmaproteinen (wie bei der Plasmapherese) notwendig
- Sehr teuer
Thymektomie
- Indikation
- In allen Fällen mit Thymomnachweis, unabhängig vom Ausprägungsgrad der Myasthenie
- Auch ohne Thymomnachweis bei Patienten mit generalisierter Myasthenie
- Kinder- und Jugendliche im Alter von 5–10 Jahren mit AChR-AK-positiver Myasthenia gravis nach Versagen der Therapie mit Cholinesterasehemmern und Glucocorticoiden
- Patienten mit okulärer Myasthenie und fehlendem Ansprechen auf medikamentöse Therapie (in Einzelfällen)
- Nicht-indiziert ist die Thymektomie bei Myastheniepatienten mit Nachweis von MuSK-Antikörpern
- Durchführung
- Elektiver Eingriff bei stabilisierter Grunderkrankung
- Operationsmethoden
- Transsternale Thymektomie (Goldstandard bei Thymomentfernung)
- Videoassistierte thorakoskopische Thymektomie
Hilfsmittel
- Dysarthrie: Logopädie
- Doppelbilder
- Brille mit abwechselnd abgedeckten Gläsern
- Prismenbrille bzw. Prismenfolien
- Mobilität
- Halskrause bei Kopfhalteschwäche
- Gehstock, Rollator oder (Elektro‑)Rollstuhl
Komplikationen
Medikamentöse Einflüsse auf die Myasthenie
- Zahlreiche Medikamente können die myasthene Symptomatik bis hin zu einer myasthenen Krise verstärken
- Geringes Risiko: Bei leichtgradiger myasthener Symptomatik und gut eingestellter Therapie (mit Normalisierung der neuromuskulären Übertragung) besteht ein geringes Risiko wesentlicher medikamentöser Einflüsse
- Vorgehen bei medikamentös induzierter Verschlechterung
- Prüfung von Kontraindikationen, ggf. Ausweichen auf Alternativen
- Beobachtung der myasthenen Symptome nach Verordnung neuer Medikamente
- Konsequente Infektbehandlung: Bei fieberhaften Infektionen im Bedarfsfall Antibiotikatherapie nicht hinauszögern!
- Intensivmedizinische Therapien: Bei Myasthenie eigentlich kontraindizierte Medikamente können bei schweren Erkrankungen und intensivmedizinischer Therapie notwendig und sinnvoll sein
- Bei anderen schweren Erkrankungen: Therapie trotz möglicher Kontraindikationen (in Bezug auf die Myasthenie) beginnen
- Medikamente (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
- Antiarrhythmika (Betablocker, Procainamid)
- Antibiotika
- Aminoglykoside (insbesondere Streptomycin, Neomycin, Gentamicin, weniger: Tobramycin)
- Fluorchinolone (etwa Levofloxacin, Ciprofloxacin)
- Glykopeptide (Vancomycin)
- Lincosamide (Clindamycin)
- Makrolide (Erythromycin)
- Ketolide (Telithromycin, absolute Kontraindikation!)
- Antidepressiva (Amitriptylin)
- Anfallssuppressiva (Benzodiazepine, Carbamazepin, Gabapentin)
- Antimalariamittel (Chinin, Chloroquin)
- Antirheumatika (D-Penicillamin, Chloroquin)
- Botulinumtoxin
- Diuretika (Schleifendiuretika, Thiaziddiuretika)
- Interferon-α
- Calciumantagonisten
- Lithium
- Muskelrelaxantien
Myasthene Krise
- Definition: Krisenhafte Verschlechterung der Myasthenia gravis
- Ursachen und Auslöser
- Medikamente mit Einfluss auf die neuromuskuläre Übertragung
- Fehler bei Verordnung oder Einnahme der Myastheniemedikamente
- Infektionen und Fieber
- Narkosen
- Perioperativ: Daher Fortführung der oralen Pyridostigmintherapie bis kurz vor OP!
- Idiopathisch
- Klinik
- Schwere Muskelschwäche mit respiratorischer Insuffizienz und Aspirationsgefahr
- Häufig Aspirationspneumonien
- Therapie: Sicherung der Atemwege und Vitalfunktionen, Aufnahme auf Intensivstation, intravenöse Therapie mit Cholinesterasehemmern (Pyridostigmin oder Neostigmin) und/oder Neutralisierung der pathogenen Antikörper durch Plasmapherese/Immunadsorption oder intravenöse Immunglobuline (IVIG)
- Atemwegsmanagement
- Patienten ohne Intubationspflichtigkeit
- Oberkörperhochlagerung, ggf. Oropharyngealtubus (Guedel-Tubus ), Sauerstoffmaske
- Monitoring der Vitalparameter inkl. Vitalkapazität und Blutgasanalyse
- Patienten mit Intubationspflichtigkeit
- Transnasale Intubation
- Invasive Beatmung
- Beim Lungengesunden i.d.R. niedriger PEEP (3–5 cmH2O) und Atemzugvolumen von 7–11 ml/kg/KG
- Beim Lungenkranken höherer PEEP und niedrigeres Atemzugvolumen.
- Frühzeitig assistierte Beatmungsformen nutzen
- Patienten ohne Intubationspflichtigkeit
- Therapie der myasthenen Symptomatik
- Cholinesterasehemmer Pyridostigmin intravenös oder Neostigmin
- Atropin bei starken cholinergen Nebenwirkungen
- Interventionstherapie bei schwer betroffenen Patienten oder cholinerger Krise (siehe oben)
- Sonstige Maßnahmen
- Abklärung einer Infektion, bei Nachweis konsequente Behandlung (z.B. einer Aspirationspneumonie)
- Ausgleich von Elektrolytstörungen
- Behandlung von Schilddrüsenfunktionsstörungen
- Thromboseprophylaxe
- Atemwegsmanagement
- Prognose: Letalität 2–3% bei intensivmedizinischer Behandlung
Bei der myasthenen Krise handelt es sich um einen intensivpflichtigen Notfall!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Schwangerschaft und Myasthenie
- Kinderwunsch
- Remission der Grunderkrankung anstreben
- Thymektomie vor Schwangerschaft, falls indiziert
- Umstellung bei ungeeigneter Therapie (Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus) und danach hinreichend lange Kontrazeption
- Erkrankte Väter
- Abstand von 6 Monaten zwischen Absetzen potenziell mutagener Immunsuppressiva und Zeugung
- Bei Kinderwunsch ggf. Konservierung von Spermien vor Methotrexattherapie
- Schwangerschaft
- Individueller Krankheitsverlauf ist nicht vorhersehbar
- Anbindung an Myasthenie-erfahrene Geburtsklinik, dort regelmäßige Vorstellung mit Sonografie
- Regelmäßige neurologische Vorstellung
- Glucocorticoidtherapie: Engmaschige Überwachung hinsichtlich Gestationsdiabetes
- Medikation
- Basistherapie: Pyridostigmin , möglichst niedrig-dosierte Glucocorticoide, ggf. auch Azathioprin
- Therapieeskalation: Glucocorticoide
- Exazerbation und myasthene Krise: Intravenöse Immunglobuline (IVIG), ggf. Plasmapherese oder Immunadsorption
- Relative Kontraindikation: Azathioprin, Ciclosporin A
- Absolute Kontraindikation: Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus
- Geburt
- Keine Indikation für primäre Sectio
- Muskuläre Erschöpfung unter Geburt: Indikation für sekundäre Sectio
- Erhöhtes Risiko von Infektionen der Mutter
- Peridurale Anästhesie
- Cholinesterasehemmer perinatal über Perfusor statt oral
- Krankenhaus mit Monitoring- und Therapieoptionen bei etwaiger neonataler Myasthenia gravis
- Letalität peripartal entspricht jener der Normalpopulation
- Myasthenie-assoziierte Probleme können noch Stunden/Tage nach der Geburt auftreten
- Ggf. Familienhilfe zur Unterstützung der Mutter nach Entlassung
- Risiken für das Kind
- Häufig (10–20%): Transiente neonatale Myasthenia gravis (NMG) (siehe: Andere myasthene Syndrome)
- Extrem selten
-
Arthrogryposis multiplex congenita (AMC)
- Therapieoption: Plasmapherese der Mutter zur Eliminierung zirkulierender plazentagängiger Antikörper
-
Arthrogryposis multiplex congenita (AMC)
- Stillzeit
- Stillen wird empfohlen
- Therapiebeschränkungen beachten
- Sicher: Pyridostigmin und Glucocorticoide
- Relative Kontraindikation: Azathioprin
- Absolute Kontraindikation: Cyclophosphamid, Methotrexat
- Unzureichende Datenlage: Ciclosporin A, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus
Prognose
- Cholinesterasehemmer und niedrigdosierte Immunsuppression häufig lebenslang notwendig
- Remission unter Therapie sehr häufig
- Okuläre Myasthenie: Prognose bei ausbleibender Generalisierung günstig
- Myasthene Krise: Letalität 2–3%, unbehandelt sehr hoch
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Myasthenia gravis
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- G70.-: Myasthenia gravis und sonstige neuromuskuläre Krankheiten
- Exklusive: Botulismus (A05.1), Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen (P94.0)
- G70.0: Myasthenia gravis
- G70.1: Toxische neuromuskuläre Krankheiten
- G70.2: Angeborene oder entwicklungsbedingte Myasthenie
- G70.8: Sonstige näher bezeichnete neuromuskuläre Krankheiten
- G70.9: Neuromuskuläre Krankheit, nicht näher bezeichnet
- G73.-*: Krankheiten im Bereich der neuromuskulären Synapse und des Muskels bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G73.0*: Myastheniesyndrome bei endokrinen Krankheiten
- Myastheniesyndrome bei:
- diabetischer Amyotrophie (E10–E14, vierte Stelle .4†)
- Hyperthyreose [Thyreotoxikose] (E05.-†)
- Myastheniesyndrome bei:
- G73.1*: Lambert-Eaton-Syndrom (C00–D48†)
- G73.2*: Sonstige Myastheniesyndrome bei Neubildungen (C00–D48†)
- G73.3*: Myastheniesyndrome bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G73.4*: Myopathie bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- G73.5*: Myopathie bei endokrinen Krankheiten
- Myopathie bei: Hyperparathyreoidismus (E21.0-E21.3†), Hypoparathyreoidismus (E20.-†)
- Thyreotoxische Myopathie (E05.-†)
- G73.6*: Myopathie bei Stoffwechselkrankheiten
- Myopathie bei: Glykogenspeicherkrankheit (E74.0†), Lipidspeicherkrankheiten (E75.-†)
- G73.7*: Myopathie bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Myopathie bei: chronischer Polyarthritis (M05-M06†), Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom] (M35.0†), Sklerodermie (M34.8†), systemischem Lupus erythematodes (M32.1†)
- G73.0*: Myastheniesyndrome bei endokrinen Krankheiten
- P94.-: Störungen des Muskeltonus beim Neugeborenen
- P94.0: Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen
- Exklusive: Myasthenia gravis (G70.0)
- P94.0: Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen
- G71.-: Primäre Myopathien
- Exklusive: Arthrogryposis multiplex congenita (Q74.3), Myositis (M60.‑), Stoffwechselstörungen (E70-E90)
- G71.0: Muskeldystrophie
- Muskeldystrophie: autosomal-rezessiv, Beginn in der frühen Kindheit, Duchenne- oder Becker-ähnlich
- Becken- oder Schultergürtelform
- benigne [Typ Becker]
- benigne skapuloperonäal, mit Frühkontrakturen [Typ Emery-Dreifuss]
- distal
- fazio-skapulo-humerale Form
- maligne [Typ Duchenne]
- okulär
- okulopharyngeal (Okulopharyngeale Muskeldystrophie, OPMD)
- skapuloperonäal
- Exklusive: Angeborene Muskeldystrophie: mit spezifischen morphologischen Anomalien der Muskelfasern (G71.2), o.n.A. (G71.2)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.